Nicht immer führt der erste Versuch zum Erfolg. Aber das Dranbleiben lohnt sich, egal ob in der Korallenriffaquaristik oder in der Mikrofotografie
Am Anfang stand ein Foto eines Clownfisch-Embryos, das ich in einer wissenschaftlichen Publikation sah. Dieser rund zwei Millimeter kleine Embryo befand sich noch in seiner Eihülle und war so fotografiert worden, dass man auch manche Einzelheiten recht gut erkennen konnte – mit all den Unschärfen, die eine solche Nahaufnahme zwangsläufig mit sich bringt. Was für eine faszinierende Bildidee: werdendes Leben, das in der transparenten Eihülle darauf wartet, hinaus in die Welt zu dürfen, und das schon mit großen, silbrigen Augen seine Umgebung betrachtet.
Das weckte in mir spontan den Wunsch, es mindestens ebenso gut hinzubekommen, im Idealfall sogar noch besser. So, dass man anatomische Details im Foto erkennen könnte – im Zentrum der gelbe, prall gefüllte Dottersack, der dem Tierchen nach dem Schlupf während der ersten Tage Nahrung liefern sollte.
Allerdings verstand ich das Ganze als Herausforderung und wollte nicht den einfachsten Weg gehen und den gewöhnlichen, weit verbreiteten Clownfisch Amphiprion ocellaris wählen, der sehr leicht aus Nachzuchten zu bekommen ist. Vielmehr plante ich, den sehr ähnlichen, farblich aber noch etwas hübscheren Amphiprion percula dafür zu verwenden, der das Vorbild für den Fernsehfilm „Finding Nemo“ war.
Das allerdings machte die Sache ungleich schwieriger, denn geschieht ganz selten, einem Züchter zu begegnen, der mit genau dieser Spezies arbeitet, zumal die beiden Arten extrem schwer voneinander zu unterscheiden sind. Hinzu kam eine weitere Erschwernis: Zwei Jungfische, die aus einem Gelege geschlüpft sind, lassen sich kaum verpaaren, denn die Paarbildung dieser protandrischen Fische läuft über einen sozial gesteuerten Geschlechtswechsel; anfangs sind die beiden Jungfische männlich, und der kräftigere von beiden unterdrückt den anderen in fortwährenden Raufereien, mit der Folge, dass er selbst sich zum dominanten Weibchen entwickelt, während dies beim anderen unterdrückt wird und er das subdominante Männchen des Paars wird. Das ist die Voraussetzung für die Paarbildung, und Wurfgeschwister sind normalerweise gleich alt und ähnlich stark, so dass sie sich in endlosen Raufereien verschleißen.
Clownfisch-Paarbildung
Ganze fünf Jahre dauerte es, bis es mir gelungen war, zwei gesunde Nachzucht-Perculas im Korallenriffaquarium zu verpaaren. Sie wohnten in ihrer Wirtsanemone, eine prächtig rote Entacmaea quadricolor, die ebenfalls aus Aquariennachzucht stammte. Die beiden Clownfische kuschelten sich permanent zwischen die Anemonententakel und erzeugten nach einiger Wartezeit auch das erste Gelege mit rund zweihundert Eiern.
Schon während des Befruchtungsvorgangs war ich mit der Kamera dabei. An die Eier, die das kräftigere und größere Weibchen gerade an Gesteinssubstrat klebte, heftete das kleinere Männchen zahlreiche winzige Spermiensäckchen, die jeweils an der transparenten und rund zwei Millimeter langen Eihülle klebten. Im Innern der Eier war nichts als ein gelbes Kügelchen zu sehen, in denen man zahlreiche winzige Fetttröpfchen erkannte.
Die erste Bildserie
Jeden Tag stahl ich mir einige der Eier, um sie auf einen gläsernen Objektträger zu bringen, der in der Mitte eine konkave Vertiefung besaß, die mit einem Tropfen Meerwasser gefüllt und mit einem Deckglas abgedeckt wurde. Unter dem Mikroskop war die Entwicklung im Innern der Eier sehr gut zu beobachten. Ich verwendete mein Orthoplan-Mikroskop von Leitz, das von den 1960er- bis in die späten 1980er-Jahre weltweit in Kliniken und Universitäten zu den beliebtesten Forschungsmikroskopen zählte. Ausgestattet hatte ich es Durchlichtobjektiven, und ich setzte ein 10x-Planapo ein. Allerdings brauchte ich für eine ästhetisch schöne Darstellung Auflicht, und das besorgte eine zweiköpfige LED-Leuchte, die von beiden Seiten auf das Ei strahlte. Mit zarten Drehbewegungen am Feintrieb wurde eine Bildserie erzeugt und anschließend zu einem Foto verrechnet.
Jeden Morgen und jeden Abend fertigte ich auf diese Weise drei Serien mit jeweils 100 Einzelbildern an, acht Tage lang, bis die Embryonen geschlüpft und ins Larvenstadium übergegangen waren. Das Bildergebnis war phänomenal – fand ich damals jedenfalls. Mit großem Stolz betrachtete ich die Bilder, die die gesamte Embryonalentwicklung dokumentierten. Mit Leichtigkeit konnte man den U-förmig gefalteten Körper in der transparenten Eihülle erkennen, mit Schwimmblase, Augen und zahlreichen anatomischen Details. Doch irgendwie waren die Farben blass und unschön, die Lichtverteilung war grauslig. Irgendwie musste das doch besser gehen …
Die zweite Bildserie
Beim nächsten Gelege, das mein noch recht junges Clownfischpaar produzierte, verwendete ich ebenfalls das Orthoplan-Mikroskop, setzte aber andere Objektive ein, nämlich einen Satz HD-Planachromate von Zeiss Jena. Diese fast ein halbes Jahrhundert alten DDR-Objektive hatten die Möglichkeit, sich im Auflicht selbst mit Licht zu versorgen: Das Halogenlicht des Mikroskops wurde durch einen ringförmigen Lichtkanal außen an den Objektivlinsen nach unten geleitet und dort durch einen Ringspiegel auf das Objekt gestrahlt, wahlweise im Hellfeld oder im Dunkelfeld, also mit weißem oder schwarzem Hintergrund. Das schien mir besser geeignet, um eine gute und gleichmäßige Lichtverteilung im gesamten Clownfisch-Ei zu bekommen.
Also führte ich die Bildserie noch einmal durch und beobachtete wieder einmal die gesamte Entwicklung der Embryonen, nach den ersten Zellteilungen die Gastrulation, bei der sich die Embryonalschichten bilden und die Haupt-Embryonalachse erzeugt wird, dann die Segmentierung, bei der der typische Fischkörper entsteht und sich im Innern die Chorda dorsalis bildet, ein Vorläufer des Zentralnervensystems. Anschließend die späten Stadien mit der Entstehung der Organe und letztlich der Schlupf aus der transparenten Eihülle.
Die zweite Bildserie, die wiederum die gesamte Embryonalentwicklung des Clownfischs porträtierte, war deutlich besser als die erste. Die ringförmige Beleuchtung rund um die Objektivlinsen hatte kräftige Farben erzeugt, im Gegensatz zu dem blassen Gelb der ersten Serie. Auch fand ich die ganzen Details im Innern der Eier schärfer konturiert und leichter wahrnehmbar. Aber der einzige Weg, besser zu werden, liegt darin, mit seiner Arbeit stets unzufrieden zu sein – nicht so sehr, dass es frustriert, aber doch immerhin so weit, dass es schwer fällt sich entspannt zurückzulehnen. Also beschloss ich, unzufrieden zu sein.
Die dritte Bildserie
Also: Nächster Anlauf mit einem neuen Gelege einige Wochen später. Diesmal wählte ich aber einen ganz anderen Weg, denn inzwischen hatte ich meinen dritten Focus-Stacking-Setup fertiggestellt und in Betrieb genommen. Das Objektiv: Mitutoyo M Plan Apo 10x – eine Legende. Wieder kam jeweils ein Ei mit Embryo auf den konkav angeschliffenen Objektträger. Doch diesmal wurde das Glasplättchen mit einem speziell angefertigten Halter vertikal auf dem Focus-Stacking-Setup montiert. Dahinter befand sich schwarzer Filz, um den Hintergrund pechschwarz werden zu lassen. Beleuchtet wurde mit zwei Systemblitzen, denn mit der LED-Beleuchtung war ich damals noch nicht so weit, dass gute Resultate erreicht wurden.
Erste Entdeckung
Dabei stellte ich auch fest, dass der Stresszustand des Embryos sich über die Streuung der Pigmente in seinem Körper zeigt: Ist er entspannt, so sind die schwärzlichen und die gelben Pigmente in der jeweiligen Pigmentzelle gleichmäßig verteilt, so dass am Körper eine homogene Gelbfärbung entsteht, und der gelbe Dottersack wird von den verteilten Melaninpigmenten überlagert, die ihn bräunlich erscheinen lassen. Gerät der Embryo hingegen unter Stress, so konzentrieren sich die Pigmente im Zentrum der Pigmentzellen und man sieht nur noch gelbe und schwarze Punkte, was die Farbwirkung des gesamten Embryos radikal verändert. Ich konnte also den Stresszustand des zwei Millimeter großen Embryos in der Eihülle an seiner Körperfärbung ablesen – das war neu.
Mit gewohnter Routine nahm ich jeden Morgen und jeden Abend wiederum drei der Eier, um von jedem eine 100-Bilder umfassende Serie anzufertigen. Dabei stellte ich in einem bestimmten Entwicklungsstadium auch eine komplette Körperdrehung fest, die jeder der Embryonen ausführte: Anfangs entwickelte sich der Kopf mit der großen Augenanlage unten, doch am Folgetag war dieser Kopf oben! Schon bei reifenden Eiern im Aquarium hatte ich diese Veränderung gesehen, ohne zu erkennen, was dabei passiert. Um es zu dokumentieren, fertigte ich von einem bestimmten Embryo einen ganzen Tag lang stündlich eine Serie mit 100 Einzelbildern an, die den Verlauf dieser Drehbewegung nachweisen sollte.
Weitere Erkenntnisse
Und irgendwann war auch die dritte Bildserie im Kasten und konnte montiert werden. Das Ergebnis fand ich im Vergleich zur zweiten Serie erheblich besser, vor allem, weil die Lichtverteilung im Innern der Eier phänomenal gleichmäßig war – genau das, was ich mir vorgestellt hatte, angefertigt mit einem Lichtdiffusor, den mir der im Frühjahr 2024 leider viel zu jung verstorbene Robert O’Toole empfohlen hatte.
Am Schlupftag gelang dann noch eine weitere Beobachtung, genau genommen sogar zwei: Während morgens die Körper der kleinen Embryonen noch homogen gelb gefärbt waren, mit gleichmäßig verteilten Xanthinpigmenten – nach meiner Hypothese waren sie also stressfrei –, sah ich abends, einige Stunden vor Einbruch der Dunkelheit, also dem nahenden Schlupfzeitpunkt, bei allen eine radikale Umfärbung: Die großflächige verteilten Gelb- und Schwarzpigmente hatten sich bei sämtlichen Embryonen zu kleinen, orangefarbenen bzw. schwarzen Punkten konzentriert. Nach meiner laienhaften Vorstellung war das die Folge einer Hormonausschüttung, die sie auf starke Muskelkontraktionen zum Sprengen der Eihülle vorbereiten sollten, z. B. Serotonin.
Die zweite Beobachtung lag im Verhalten unmittelbar vor dem Sprengen der Eihülle zum Schlupf: Bei der U-förmigen Körperstellung der Embryonen, die nötig ist, um in einer nur zwei Millimeter großen Eihülle rund vier Millimeter lang werden zu können, fehlt vielen die Kraft, durch eine Körperstreckung wie ein aufklappendes Taschenmesser die Hülle zu sprengen. Die Problemlösung ist einfach und der Wissenschaft bisher vermutlich nicht bekannt: Der Embryo begibt sich in eine S-Stellung, um nun durch eine Körperstreckung mit mehr Kraft auf die Eihülle einwirken und sie sprengen zu können – für die Embryonen ein Erfolg und für mich ein Erkenntnisgewinn.
Der Fotowettbewerb
Monate später stieß ich im Internet erstmalig auf den Fotowettbewerb Nikon Small World Award. Wäre das nicht auch etwas für meine Clownfischembryonen? Aber andererseits: Noch nie hatte ich bisher an irgendeinem Wettbewerb teilgenommen, geschweige denn an einem Fotowettbewerb! Und dieser war in der Mikroskopfotografie der weltweit größte und bedeutungsvollste! Jedes Jahr rund 2000 Beiträge aus rund 90 Ländern der Erde! Die Crème de la Crème der Mikrofotografen in aller Welt traf sich dort zum alljährlichen Stelldichein, meist Experten aus Universitätsinstituten, die jeden Tag mit hochkomplexen, sündhaft teuren Konfokalmikroskopen aufregende Fluoreszenzaufnahmen in allen Farben des Regenbogens anfertigten, messerscharf gerechnet von Hochleistungscomputern – so sah ich das damals. Und ich blutiger Anfänger sollte mich unter sie mischen?
Egal – Dabeisein ist alles. Ich fertigte eine spezielle Kurzversion der Embryonalentwicklung an, die sich vom Format her als Wettbewerbsbeitrag eignete und reichte sie bei der Nikon Small World Award ein. Und monatelang geschah erst einmal nichts.
Im Oktober 2020 fiel ich dann fast vom Stuhl, als ich erfuhr, dass mein Beitrag den zweiten Platz belegt hatte – den zweiten! Und ein Bisschen Bauchschmerzen bekam ich, als mir klar wurde, dass ich versehentlich eine Testdatei zum Wettbewerb abgeschickt hatte, die ich im Vorfeld gebaut hatte, um das Ganze zu probieren. Die endfertige Wettbewerbsdatei, die viel schöner war, hat bis heute niemand gesehen. Die wäre vielleicht noch einen Platz weiter nach vorn gekommen – einer war da ja noch vor dem zweiten.
In den folgenden Wochen wurde ich dann von zahlreichen Redaktionen im Ausland interviewt, die über den Wettbewerb berichteten, und in mehreren wissenschaftlichen Fachbüchern druckte man meine Embryonen ab. Auch die Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ brachte sie doppelseitig am Heftanfang. Und endgültig versöhnt mit meinen verwechselten Dateien hat mich dann letztlich, was ich ganz zufällig aus den USA erfuhr: Die Redaktion der Wissenschaftszeitschrift „Nature“ hatte mein Wettbewerbsbild neben einigen weiteren zum „Wissenschaftsfoto des Jahres 2020“ gekürt – welch eine Ehre für meine kleinen Embryonen!
Daniel Knop
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