Hochwertige Filmscannerobjektive besitzen ideale Eigenschaften für detailreiche Aufnahmen mit Focus Stacking. Hier wird das letzte von drei Objektiven vorgestellt.
Fotografie mit Focus Stacking fasziniert auf zweierlei Weise: einerseits mit dem, was durch die Objektive zu sehen ist, und andererseits durch die Objektive selbst. Mir zumindest geht es so. Diese Begeisterung für Objektive könnte einer der Gründe dafür sein, dass es reizvoll ist, Filmscannerobjektive für diese Art der Nahaufnahmen zu entdecken, denn hier verlässt man ausgetretene Pfade.
Eines vorab: Ich will niemanden dazu ermutigen, einen funktionalen Filmscanner zu zerlegen, um das Objektiv zu nutzen. Im Gegenteil! Mir geht es darum, dem Herzstück einer Filmscanner-Leiche neues Leben einzuhauchen, denn in manchem davon – und dieser hier ist dafür ein Paradebeispiel – steckt eine regelrechte Super-Optik, mit höchster Fachkompetenz gerechnet, apochromatisch korrigiert, optimiert bis in den Grenzbereich physikalischer Gesetzmäßigkeiten und jedem herkömmlichen Kameraobjektiv in vielerlei Hinsicht überlegen. Solche Superobjektive landen mancherorts im Elektronikschrott! Und das haben sie schlichtweg nicht verdient!
Und, ganz nebenbei: Die Schwierigkeit, solche Objektivzylinder ohne Gewinde oder Bajonett an die Kamera zu adaptieren und ihre optimalen Einsatzbedingungen auszutesten – sind das nicht genau die Herausforderungen, die viele von uns suchen? Statt einfach ins Händlerregal zu greifen, müssen wir uns hier mit der optischen Wirkung ihrer Linsen auseinandersetzen und anfangen, sie zu verstehen – und genau das könnte für manchen von uns ein Höhepunkt in diesem Hobby sein. Aber nun zur Sache …
Nach den beiden absolut legendären Filmscannerobjektive „Minolta Dimage Scan Elite 5400“ und „Scanner Nikkor ED 7 Element Lens“ soll hier ein weiteres Objektiv vorgestellt werden, das ich als die absolute Königsklasse sehe: das Scanner Nikkor ED 100. Um jede einzelne dieser Optiken, die mit einem verschrotteten Filmscanner im Müll landet, wäre es unendlich schade. Ich habe es selbst mit dem ebenfalls legendären Makroobjektiv Leica Apo-Elmarit R 2,8/100 verglichen, dem Meisterwerk von Wolfgang Vollrath, das noch heute, mehr als dreieinhalb Jahrzehnte nach seiner Markteinführung 1987, zu den weltbesten Makroobjektiven gezählt wird. Das Ergebnis: Es ist ihm sowohl an Abbildungsschärfe als auch in der Farbwiedergabe deutlich überlegen – eigentlich unvorstellbar, wenn man Leicas Apo-Elmarit kennt.
Ein Objektiv mit guten Genen
Allerdings hat das Scanner Nikkor ED 100 auch ausgesprochen gute Gene: Es wurde entwickelt auf der Basis des ebenfalls legendären Printing Nikkor 95 mm, das Nikon um 1970 für extrem hochwertige Reproduktionszwecke entwickelte, z. B. in der Druckindustrie, aber auch zum Kopieren von Kinofilmen. Keinen Aufwand hatte man gescheut, das beste zu entwickeln, was physikalisch möglich und produktionstechnisch machbar war, ohne Rücksicht auf Kosten, weil der Einsatzzweck jedes Mittel heiligte, auch finanziell. Und knapp drei Jahrzehnte später besann sich Nikon auf diese Optiklegende und beschloss, auf Basis seiner Linsenberechnungen zwei Filmscannerobjektive zu entwickeln. Das kleinere wurde in Teil 2 dieser Reihe vorgestellt, und um das größere soll es hier gehen.
Das Zuhause dieser märchenhaften Optik ist der Nikon-Filmscanner Super Cool Scan 8000, der neben Kleinbildfilmen vor allem für das Scannen von Mittelformatfilmen konzipiert wurde. Kurze Zeit später ersetzte Nikon diesen Scanner durch das Modell Super Cool Scan 9000, das rund 1000 $ weniger kostete, aber in fast jeder Hinsicht vergleichbar war. Nikon hatte viel dafür getan, die Kostenstruktur zu optimieren und dazu auch am Objektiv Änderungen durchgeführt, zumal die EU giftige Inhaltsstoffe mancher Linsen moniert hatte, so dass man diese durch ungiftige Materialien ersetzen musste. Doch die Abbildungsqualität der Objektive im 8000er- und 9000er-Modell ist praktisch identisch.
Aufwändige Objektiventwicklung
Mancherorts wurde vermutet, dass Nikon für dieses Scannerobjektiv die Linsen einer jüngeren Version des Printing Nikkor, nämlich des P. N. 105 mm f/2,8 A, einfach übernommen habe. Das ist jedoch unzutreffend, wie Enrico Savazzi (s. u.) schreibt, und es machte auch wenig Sinn, weil die Aufgabenstellungen eines hochwertigen Filmscanners sehr speziell sind.
Nicht nur, dass der Filmscanner durch eine dünne Glasscheibe hindurch scannt, die den Scannersensor schützt, wofür das Printing Nikkor natürlich nicht optimiert war. Allein schon die Staub- und Kratzerentfernung beim Scanvorgang in einem solchen Filmscanner erfordert eine Anpassung der Linsen. Hierzu führt man einen separaten Scanvorgang mit Infrarotlicht durch. Diese Strahlung geht durch den Film ungehindert hindurch, doch Kratzer und Staubpartikel, die auf dem Filmmaterial liegen, blockieren diese extrem langwellige Strahlung, was ermöglichst, sie zu identifizieren und ihr Abbild zu eliminieren. Marco Cavina (s. u.) weist darauf hin, dass NIR-Strahlung (near infra red, Nah-Infrarotstrahlung) von 850 Nanometern für die Stauberkennung eingesetzt wird. Folglich müssen bestimmte Linsen dieses Scannerobjektivs bis in diese sehr langwelligen Bereiche auskorrigiert sein.
Das Printing Nikkor 100 hingegen wurde neben Reprozwecken zum Kopieren von Kinofilmen eingesetzt, bei dem man die Staubentfernung in dieser Form nicht durchführte. Die Linsen einer Printing-Nikkor-Version einfach unverändert für ein Filmscannerobjektiv zu übernehmen, machte also wenig Sinn. Tatsächlich steckt in diesem Objektiv intensive Entwicklungsarbeit, die auch zu drei legendären Prototypen geführt hat, über die Marco Cavina detailliert berichtet.
Vom ursprünglichen Printing Nikkor 100 übernommen wurde für das Scanner Nikkor 100 hingegen die absolut überragende Korrektion der Linsen. Es handelt sich um einen Ultrabreitband-Apochromaten, bei dessen Linsen Astigmatismus, sphärische Aberrationen, Bilddeformationen sowie laterale chromatische Aberrationen über den gesamten Bildkreis perfekt auskorrigiert wurden, und zwar nicht nur im Bereich des sichtbaren Lichts (400 – 780 Nanometer), sondern bis 850 Nanometer, also in den Nah-Infrarotbereich.
Das Entdecken dieses fantastischen Filmscannerobjektivs für die Focus-Stacking-Fotografie ist das alleinige Verdienst des unlängst leider viel zu jung verstorbenen Fotografen Robert OToole, der ihm auf seiner Webseite (s. u.) bescheinigte, die „die Grenze zwischen dem, was mit einem erschwinglichen Desktop-Scanner und einem professionellen Trommelscanner erreicht werden konnte, verwischt“ zu haben, und: „Als der Nikon 8000 ED-Scanner 2001 angekündigt wurde, gab es auf dem Markt buchstäblich kein vergleichbares Objektiv“.
Seit dem Jahr 2017, in dem er über dieses Objektiv berichtete, ist der Preis allerdings ins Unermessliche gestiegen, nicht zuletzt, weil es nur sehr selten einmal angeboten wird. Seit die Hersteller Produktion und Vertrieb der Geräte und inzwischen auch die Ersatzteilversorgung eingestellt haben, ist der Wert funktionierender Filmscanner rapide in die Höhe geschnellt, und im Mittelformat ist die Situation noch dramatischer. Selbst wenn man über Online-Auktionshäuser global sucht, geschieht es außerordentlich selten, dass irgendwo auf der Welt einmal ein Nikon Super CoolScan 8000 oder 9000 ausrangiert und filetiert wird, und unzählige Interessierte in aller Herren Länder haben die Suche in ihren Onlineprofilen fest abgespeichert und warten nur darauf.
Gehäuse und Abbildungsmaßstab
Das Scanner Nikkor 100 besitzt 14 Linsen, die in sechs Gruppen angeordnet sind. Ein Blick auf die beiden Hauptgruppen, die nahezu identisch und spiegelbildlich angeordnet scheinen, lässt vermuten, dass man dieses Objektiv in beiden Richtungen verwenden kann. Tatsächlich trifft das zu, doch mit etwas unterschiedlichem Abbildungsmaßstab, denn in der Originalposition (der weiße Punkt auf dem Gehäuse weist in Sensorrichtung) arbeitet es mit etwa 0,9:1, in umgekehrter Richtung (weißer Punkt auf dem Gehäuse weist vom Sensor weg) mit etwa 1,1:1. Robert O’Toole gibt für die Sensorposition 0,87–0,89 an, für die Gegenrichtung 1,12–1,15.
Ermitteln des Abbildungsmaßstabs
Sensor Kleinbild-Vollformat, Bildbreite 36 mm; modifizieren Sie den Auszug (Distanz zwischen Sensor und Lichtaustrittslinse des Objektivs) so, dass Sie auf einem fokussierten Lineal mit Millimetereinteilung eine bestimmte Anzahl an Millimetern erkennen können.
Um also die optimale Auszugslänge zu ermitteln, müssen Sie eine Millimeterskala fokussieren und die Anzahl der Millimeter im Bild sehen können, die der Breite Ihres Sensors entspricht, im Vollformat also 36 mm. Dann arbeiten Sie mit 1:1 und können je nach Einsatzrichtung des Objektivs entsprechend nach oben oder unten variieren. Unproblematisch ist jedoch die Arbeit mit 1:1. Strecken Sie die Auszugslänge so weit, dass Sie 2:1 erreichen, werden Sie in Bezug auf die Abbildungsschärfe vermutlich Kompromisse eingehen müssen.
Das Gehäuse besteht aus mehreren zylindrischen Elementen, von denen das mittlere den größten Durchmesser hat. Die beiden schlankeren Enden sind unterschiedlich lang, und das längere trägt die weiße Punktmarkierung, weist also im Scanner zum Sensor hin. Beim genauen Blick auf die Breite und Anzahl der ringförmigen Gehäuseelemente lässt sich auch leicht der Unterschied zwischen der 8000er- und der 9000er-Version erkennen.
Der Zylinderdurchmesser vorn, hinten und in der Mitte ist bei beiden jedoch identisch und liegt bei 48,5 mm (allerdings nicht elektronisch gemessen). Ich habe diese Optik in einer Fassung mit 50 mm Innendurchmesser stecken (siehe weiter unten), was eine Umfangserweiterung durch eine dünne Pappstreifenlage erfordert.
Wundern Sie sich nicht über die zahlreichen Kratzer am Gehäuse; das sind Markierungen, die einen Eindruck von den aufwändigen Kalibrierungs- und Prüfvorgängen während der Objektivmontage vermitteln.
Vollformateignung
Dieses Objektiv wurde für Mittelformatfilme ausgelegt, deren Scanbreite bei 63,5 mm liegt. Die Länge der aktiven Sensorfläche (Filmscanner-Sensoren sind nicht rechteckig mit flächig angeordneten Pixeln wie in einer Digitalkamera, sondern stabförmig und bewegen sich von einer Seite zur anderen über den Film) liegt bei 57,5 mm. Das bedeutet, dass das Abbild während des Scanvorgangs im Objektiv leicht verkleinert wird, eben rund 0,9:1. Folglich ist das Objektiv auf Abbildungsmaßstäbe um 1:1 herum optimiert und besitzt hier seine beste Abbildungsleistung. Der Bildkreisdurchmesser von 57,5 mm geht weit über die KB-Vollformat-Diagonale von 43,5 mm hinaus, so dass dieses Objektiv uneingeschränkt für das Vollformat geeignet ist.
Bildqualität
Die Abbildungsqualität dieses Objektivs ist fantastisch und gleicht der des kleinen Bruders dieses Objektivs, dem Scanner Nikkor ED 7. Lediglich die Korrektion von Abbildungsfehlern dürfte beim ED 14 im Randbereich noch etwas besser sein, aber das wäre vermutlich nur messbar, kaum sichtbar und würde sich hauptsächlich in den äußeren Bereichen des Bildkreises abspielen, die beim Vollformatsensor ohnehin nicht mehr abgebildet werden. Das Bild ist vom Zentrum bis in die Ecken scharf, frei von Verzeichnungen, und Farbränder (chromatische Aberrationen) sind nicht vorhanden. Die Farbwiedergabe ist atemberaubend. Und der Arbeitsabstand ist für Focus-Stacking-Arbeiten geradezu königlich, denn er liegt bei 1:1 immerhin oberhalb von 13 cm!
Der wesentliche Vorteil gegenüber dem Scanner Nikkor ED 7 liegt darin, dass im Vollformat auch Abbildungsmaßstäbe von 1:1 und etwas darunter mit optimaler Abbildungsqualität möglich sind, weil dieses Objektiv ja genau darauf optimiert wurde, während das kleinere ED 7 ja auf einen Maßstab von 1,33:1 optimiert wurde, im Vollformat seine Bestleistung eher bei 2:1 hat und bei 1:1 leicht abgedunkelte Ecken produziert. Wer also stets im „sweet spot“ der Objektive arbeiten möchte, verwendet das ED 14 für 1:1 und das ED 7 für 2:1. Allerdings deckt auch das ED 14 einen Maßstab von 2:1 noch ohne erkennbaren Qualitätsverlust ab. Erst bei 3:1 muss damit gerechnet werden, dass die Ecken etwas weich werden.
Objektivausbau
Der Ausbau des Objektivs aus dem Scanner ist deutlich schwieriger als beim Minolta Dimage Scan Elite 5400, aber doch erheblich einfacher als im Nikon Super CoolScan 5000 und seinen nahen Verwandten.
Die Asymmetrie des Objektivgehäuses hilft bei der Positionsbestimmung: Sie sehen, dass das länger erscheinende Gehäuseteil zum Spiegel weist, von dem das Lichtsignal kommt, während das kürzer erscheinende, das auch einen weißen Markierungspunkt trägt (hier kameraabgewendet), in Richtung Sensor weist.
Befestigung an der Kamera
Zur Befestigung an der Kamera bestehen mehrere Möglichkeiten.
Rafael Pankratau (RAF Camera, rafcamera.com/) bietet einen speziell für dieses Objektiv gefertigten Adapter mit M42-Gewinde (männlich) an. Damit können Sie direkt über passende Anschlussstücke auf Ihre Kamera gehen.
Alternative ist eine von Robert OToole empfohlene Gewindehülse mit 50 mm Innendurchmesser und 52-mm-Außengewinde. Sie ist z. B. von der Firma Thorlabs erhältlich und passt hervorragend über das Objektiv. Vergleichbare Hülsen können von Drehbank-Spezialisten wie Rainer Ernst (www.stonemaster-onlineshop.de) auch durchaus individuell hergestellt werden.
Ich habe mich für den RAF-Adapter entschieden, weil ich mit einer speziellen Irisblende, die von M42 auf M39 adaptiert, auf eine entsprechende Grundplatte des Novoflex-Balgengeräts Balpro 1 gehen kann. Diese Halteplatte kann ich sehr einfach mit zwei Halteschrauben abnehmen und mit anderen tauschen, die z. B. Mitutoyo- oder HLB-Objektive tragen, oder das Minolta 5400.
Blende
Im Gegensatz zu allen Versionen des Printing Nikkor besitzt das Scanner Nikkor 100 keine Blende. Die Abbildungsschärfe dieses Objektivs kann aber durchaus noch leicht gesteigert werden, wenn eine Blende vorhanden und passend eingestellt ist. Solche variablen Lamellenblenden sind mit M42-Gewinde erhältlich, an einem Ende weiblich, am anderen männlich, und der Adapter von RAF Camera passt hervorragend an eine solche Blende, die z. B. erhältlich ist über die Webseite von Rainer Ernst (www.stonemaster-onlineshop.de).
Allerdings sollten Sie aufpassen, dass Sie keine Beugungsunschärfen produzieren. Bauseits hat das Objektiv eine numerische Apertur von f/2,8. Robert OToole (pers. Komm.) empfahl mir, eine variable Blende dahinter zu setzen und eine f/3,5 einzustellen, um Abbildungsschärfe und Kontrast noch etwas zu steigern. Die Blendenöffnung in Millimetern entspricht dem Verhältnis von Brennweite zur Blendenzahl, hier also:
Brennweite in mm : Blendenwert als Zahl = Blendenöffnung in mm
100 : f/2,8 = 35,71 (numerische Apertur ohne variable Blende)
100 : f/3,5 = 28,57 (hinzugefügte variable Blende auf f/3,5 bzw. 28 mm eingestellt)
Meiner Erfahrung nach kann die Blendenöffnung durchaus noch etwas kleiner sein, doch das sollten Sie in einer eigenen Versuchsreihe mit Vergleichsbildern eines passenden Motivs selbst erarbeiten, weil die Bewertung und Interpretation des Schärfeeindrucks im absoluten Grenzbereich recht individuell ist, ebenso wie die Toleranz für Beugungsunschärfen.
Seitenlichtblende
Robert O’Toole wies mich noch auf die extreme Seitenlichtempfindlichkeit dieses Objektivs hin und empfahl mir, eine entsprechende Schutzblende zum Aufstecken anzufertigen, um Falschlicht durch Reflexionen zu vermeiden und den Farbkontrast noch etwas zu steigern. Das geschieht am einfachsten mit einem Stück Pappe, das innen mit einer Schicht schwarzem Filz beklebt ist.
Quellen:
Robert O’Toole
Enrico Savazzi
Marco Cavina
http://www.marcocavina.com/articoli_fotografici/articolo Scanner Nikkor ED.pdf
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