Mikroskopobjektive erlauben mit der Focus-Stacking-Technik enorm große Abbildungsmaßstäbe. Doch welche davon sind im Einzelfall wirklich sinnvoll? Schließlich kosten gute Objektive viel Geld, und meist um so mehr, je stärker sie vergrößern. Zudem wird die Arbeit mit zunehmender Vergrößerung erheblich schwieriger.
Die Focus-Stacking-Aufnahmetechnik hat sich während der vergangenen zwei Jahrzehnte entwickelt und unter ambitionierten Makro- und Mikrofotografen weltweit verbreitet. Sie ermöglicht uns heute, filigrane Details bei Tieren, Pflanzen, elektronischen Bauteilen und vielem anderen erheblich hochpräziser und schärfer abzubilden, als das zuvor möglich war. Dieser Fortschritt ist so gewaltig, dass er quasi einen Brückenschlag zwischen der Makrofotografie und dem Elektronenmikroskop darstellt.
Mancher Einsteiger entwickelt hierbei große Ambitionen, möchte Strukturen an Insektenkörpern immer detaillierter darstellen und förmlich Grenzen verschieben. Dagegen ist grundsätzlich auch nichts zu sagen, doch man sollte nicht übersehen, dass mit einem Mikroskopobjektiv auch moderate Vergrößerungen den Aufnahmegegenstand extrem detailreich wiedergeben. Vergleicht man z. B. eine Aufnahme, die mit einem Mikroskopobjektiv – z. B. Mitutoyo M Plan Apo 5x oder HLB Plan Apo 5x – von einer Fliege gemacht wurde, mit einem Foto derselben Fliege, das von einem identisch vergrößernden Kameraobjektiv herkömmlicher Bauart stammt – etwa dem Lupenobjektiv Canon MPE 65 in Stellung 5:1 –, dann ist der Auflösungsvorteil des Mikroskopobjektivs immens. So richtig erkennen kann man diesen Unterschied aber nur, wenn man das Bild hochskaliert und dadurch vergrößert betrachtet. Allerdings ist die Schärfentiefe des Mikroskopobjektivs so viel geringer, dass man ohne Focus Stacking kein brauchbares Bild zustande bringen wird.
Weniger ist mehr
Ein moderater Abbildungsmaßstab von 5x hat größeren Maßstäben von 20x oder sogar 50x gegenüber viele Vorteile. Einer liegt darin, dass man von Insekten einen größeren Teil des Körpers oder sogar das gesamte Tier abbilden kann. Ein winzige Detail, das mit starker Vergrößerung separat abgebildet wurde, zeigt nicht das Ganze. Steht z. B. nur die eine Abbildung eines Insektenfußes im Raum, mit gigantischer Vergrößerung und präziser Detailgenauigkeit, dann fehlt der Bezug zum Ganzen, nämlich dem gesamten Tier. Nur mit diesem Bezug lässt sich ja der tatsächliche Abbildungsmaßstab erahnen, und erst das erzeugt die volle Wirkung einer solchen Detailabbildung. Der geringe Abbildungsmaßstab zeigt weit mehr, meist einen großen Teil des Insektenkörpers und oft sogar das ganze Tier. Für viele Betrachter ist das erheblich reizvoller als ein winziger Ausschnitt mit quasi elektronenmikroskopischer Präzision.
Einen weiteren Vorteil der kleineren Abbildungsmaßstäbe wird vor allem dem Einsteiger nützen: die geringere Artefaktneigung. Artefakte sind Abbildungsfehler, die im Foto die Wiedergabe in irgendeiner Weise stören und einen nicht beabsichtigten Unterschied zum abgebildeten Gegenstand darstellen. Das können beispielsweise unscharfe, nebelartige Säume um eine Kontur sein oder skurril geformte Flecke, die sich im ganzen Bild oft wiederholen. Manchmal erscheint auch eine Struktur, die sich eigentlich hinter einer anderen befindet, im fertigen Foto davor, und zwar transparent (in einem separaten Beitrag möchte ich auf das Thema Artefakte gesondert eingehen, hier kommen diese Erscheinungen ausführlicher zur Sprache). Die Artefaktneigung steigt mit zunehmendem Abbildungsmaßstab enorm an, und wer damit nicht rechnet, dem können sie die Freude an diesem schönen Fotohobby schnell vergällen. Das ist vor allem dann unangenehm, wenn man als Einsteiger viel Geld für ein sehr stark vergrößerndes Mikroskopobjektiv bezahlt hat.
Beginnen Sie mit geringeren Abbildungsmaßstäben
Darum sollten Sie als Einsteiger möglichst mit kleineren Abbildungsmaßstäben beginnen und hier Ihre ersten Erfahrungen sammeln. 5x bzw. 5:1 ist dafür eine hervorragende Größenordnung, und als erste Steigerung eignet sich 10x. Wenn Sie sich damit durch eine Vielzahl an Motiven arbeiten, kann die Lernkurve schon erstaunlich steil sein, und nach einem Jahr verfügen Sie über viele Erfahrungen.
Bevor Sie sich teure, hochvergrößernde Optiken anschaffen, sollten Sie genau wissen, mit welchen Schwierigkeiten Sie bei zunehmendem Abbildungsmaßstab rechnen müssen, denn einen hohen Preis bezahlen Sie dafür nicht nur im monetären Sinn. Die Arbeit mit Mikroskopobjektiven ist generell um so schwieriger, je stärker sie vergrößern. Das gilt nicht nur für die erwähnten Abbildungsfehler, die Artefakte. Auch die Schärfentiefe nimmt enorm ab. Dadurch benötigen Sie mehr Einzelbilder, und das wiederum erhöht noch einmal die Gefahr von Artefakten.
Auch eventuelle Unzulänglichkeiten Ihres Focus-Stacking-Setups oder Ihrer Arbeitsprozedur treten mit zunehmendem Abbildungsmaßstab deutlicher zu Tage. Ich erinnere mich an einen Workshop-Besucher, der Schwierigkeiten mit einem bestimmten, stark vergrößernden Mikroskopobjektiv hatte, weil seine damit erzeugten Focus-Stacking-Bilder stets deutlich unscharf wirkten. Bei geringeren Abbildungsmaßstäben hingegen hatte er keine Schärfenprobleme. Das verleitete zu der Annahme, dass sowohl der technische Focus-Stacking-Setup als auch die Arbeitsprozedur in Ordnung sein müssen. Nur das Objektiv könne schuld sein, z. B. durch eine Linse, die in Folge eines Stoßes leicht verschoben wäre, was natürlich Abbildungsschärfe kosten könnte. Tatsächlich aber stellte sich heraus, dass das Problem ganz woanders lag: Er hatte seinen Computer auf dem gleichen Tisch stehen wie den Focus-Stacking-Setup. Die vom Windows-Rechner ausgehenden Vibrationen – vermutlich der Kühlventilatoren – führten bei geringeren Abbildungsmaßstäben noch nicht zu sichtbaren Veränderungen im Bild. Bei stärker vergrößernden Objektiven zeigten sich dadurch aber deutliche Unschärfen, die durch keine anderen Maßnahmen zu beeinflussen waren. Erst der Umzug des Rechners auf den Boden löste dieses Problem, und zwar ganz abrupt. Dies zeigt, wie intolerant Mikroskopobjektive mit hohen Abbildungsmaßstäben in der Regel sind.
Auch mechanische Toleranzen irgendwo an Ihrem Focus-Stacking-Setup, die bei geringen Abbildungsmaßstäben noch völlig unbemerkt bleiben, können bei stärkeren Vergrößerungen erbarmungslos zuschlagen und Ihre Bilder ruinieren, denn physikalische Gesetzmäßigkeiten sind unerbittlich.
Ein weiterer Punkt ist die Beleuchtung. Der Lichthunger eines 50x-Objektivs ist gewaltig, und wenn Sie z. B. mit LED-Lampen arbeiten, benötigen Sie möglicherweise eine Kamera, die auch mit sehr hohen ISO-Werten noch rauschfreie Bilder zustande bringt. 50x ist gewissermaßen die Königsklasse, in der Sie alle Register ziehen müssen. In jedes gute Mikrofoto investieren Sie dabei erheblich mehr Rüstzeit, technische Ausstattung und Erfahrung. Mein HLB Planapo 50x ist eine Diva, die in jeder Hinsicht mit Perfektion verwöhnt werden will, während ihre kleinere 20x-Schwester zwar auch anspruchsvoll ist, aber doch deutlich toleranter. Und im Vergleich dazu lassen sich mit den 5x- und 10x-Objektiven gute Fotos quasi im Vorbeigehen erzeugen – ideale Bedingungen für einen Einstieg ohne Frustration.
Wieder ein sehr interessanter Beitrag, den ich bestätigen kann, Gefühlt verläuft der Aufwand, den man bei jeder Steigerung der Vergrößerung benötigt, nicht linear, sondern exponentiell. Und das in fast allen Bereichen (Mechanik, Lichtaufbau, Geduld des Fotografen).
Danke für die ausführliche Erläuterung.