Auf Tauchstation, oder: Optimierte Fotografie von Bernsteininklusen
- Daniel Knop
- vor 1 Tag
- 18 Min. Lesezeit
Warum scharfe Bilder von Insekten im Bernstein mehr mit Physik als mit Fotografie zu tun haben – und wie Wasser, Glycerin und ein neu vorgeschlagenes Immersionsmedium die Sicht ins Erdmittelalter verbessern.

Wer schon einmal versucht hat, eine Inkluse in Bernstein detailreich zu fotografieren, weiß, dass die Physik sich dabei nicht gerade kooperativ zeigt. Besonders wenn man es, wie in meinem Beispiel, mit einem winzigen Zuckmückenmännchen von etwa 1,5 Millimetern Länge zu tun hat, dessen filigrane Antennen im 40 Millionen Jahre alten Bernstein so perfekt fixiert sind wie beim lebenden Tier. Diese haarfeinen Fiedern, nur etwa 0,05 mm lang und einige Mikrometer dick, sind gnadenlose Kritiker. Sie verzeihen kein bisschen Unschärfe, keine Streuung, keine Reflexe. Sobald im optischen System irgendetwas nicht ideal läuft, lösen sich ihre Strukturen in milchigem Nebel auf – wie Zucker im Tee.
Was sind Bernsteininklusen?
Aber zunächst: Was, um Himmels Willen, sind Bernsteininklusen? Kurz gesagt: Bernsteine sind kleine Zeitkapseln mit großem Inhalt. Bernstein ist nichts anderes als fossiles Baumharz – uralte, verharzte Tränen von Nadelbäumen; Baumharz, das vor 20 bis 100 Millionen Jahren an Baumstämmen herablief, tropfte, klebte, aushärtete und schließlich zu Stein wurde. Und genau in diesen klebrigen Momenten der Erdgeschichte passierte das Magische: Ein Insekt, eine Spinne oder auch nur ein Pollenstaubkorn blieb hängen wie an einem Fliegenfänger – und wurde für die Ewigkeit konserviert.

Diese „Inklusen“, wie man die Einschlüsse nennt, sind also biologische Momentaufnahmen aus einer Zeit, als es noch keine Menschen, keine Smartphone-Kameras und keine Fotografie gab. Die Facettenaugen, die uns heute aus dem Bernstein anblicken, haben in vielen Fällen schon Dinosaurier vorüber stampfen sehen. Und dieses Harz hat die Tiere nicht nur umschlossen, sondern auch auf erstaunliche Weise dreidimensional fixiert – oft so detailgetreu, dass man im Idealfall unter dem Mikroskop feinste Härchen und Flügeladern erkennen kann. Manchmal wirken sie so lebendig, dass man instinktiv den Atem anhält – als könnte der kleine Kerl jeden Moment die Flügel spreizen und sich in Bewegung setzen.
Doch so schön diese Miniaturwelt auch aussieht – sie zu fotografieren ist eine ganz andere Geschichte.
Das Problem mit der Trockenaufnahme
Physikalisch liegt das Problem auf der Hand: Zwischen Bernstein (Brechungsindex ~1,54) und Luft (1,00) klafft eine gewaltige optische Lücke. An jeder Grenzfläche – Bernstein zu Luft, Luft zu Objektivlinse – wird Licht teils reflektiert, teils gebrochen, teils gestreut. Je stärker die optischen Unterschiede, desto mehr Licht tanzt aus der Reihe. Das Resultat: ein Schleier aus Fremdlicht, der feine Strukturen überlagert und den Kontrast ruiniert.
An jeder Grenzfläche hängt die Stärke der Reflexion vom Unterschied der Brechungsindizes ab – je größer der Sprung, desto mehr Licht wird zurückgeworfen. Luft und Bernstein trennen Welten (1,00 → 1,54); Wasser verringert diesen Sprung drastisch. Der Fachbegriff dafür klingt hübsch harmlos: interne Reflexionen. In Wirklichkeit sind diese Trübungen das optische Äquivalent zu Nebel vor der Windschutzscheibe.

Bernstein ist nicht gleich Bernstein
Nun kommt erschwerend hinzu, dass Bernstein nicht gleich Bernstein ist. Baltischer Bernstein enthält im Vergleich zu den meist klareren Harzen aus der Dominikanischen Republik (jünger) oder aus Myanmar (älter) deutlich mehr mikroskopisch kleine Einschlüsse, Bläschen und Schwebstoffe. Diese feinen Partikel streuen Licht zusätzlich – genau das, was man bei der Fotografie von Inklusen am allerwenigsten braucht. Entsprechend ist das Fotografieren baltischer Stücke oft ein Kampf gegen milchige Schleier und kontrastarme Details.
Nach meinen Erfahrungen treten die beschriebenen Probleme – Streuung, Reflexe, Lichtnebel – bei baltischem Bernstein deutlich stärker auf als bei anderen. In manchen Fällen mit dominikanischem oder burmesischen Bernstein lieferte mir sogar ein Wassertauchbad schlechtere Ergebnisse als eine Trockenaufnahme. Deshalb konzentriert sich dieser Beitrag bewusst auf baltischen Bernstein – den, der in europäischen Sammlungen und im Handel ohnehin am häufigsten vorkommt.
Warum ist das Fotografieren in baltischem Bernstein schwieriger?
Ganz einfach gesagt: weil er älter wirkt – und das im besten wie im schlechtesten Sinn.Baltischer Bernstein, rund 35 bis 45 Millionen Jahre alt, hat im Lauf der langen Erdgeschichte einiges mitgemacht. Er ist stärker oxidiert, enthält mehr mikroskopisch kleine Gas- und Flüssigkeitseinschlüsse, und seine Harzstruktur ist oft feiner gekörnt. Unter dem Mikroskop sieht man neben Spannungsrissen zahllose winzige Bläschen, Staubpartikel und Kristallisationsspuren – lauter kleine Störenfriede, die Licht in alle Richtungen werfen. Wenn er aus Bitterfeld stammt, hat er zusätzlich eine bewegte geologische Geschichte hinter sich – er wurde im Lauf der Zeit mehrfach umgelagert, was ihn mechanisch stark beansprucht hat. Das zeigt sich oft in Form feiner Spannungsrisse und Mikrobrüche.

Für die Fotografie bedeutet das: Der Lichtweg gleicht einer Abenteuerreise durch eine unruhige Mikrowelt. Jeder winzige Einschluss, jede Blase, jede Grenzfläche bricht und streut das Licht. Das Ergebnis: ein feiner, milchiger Schleier, der aussieht, als hätte jemand hauchfeinen Dunst in die Aufnahme gepustet.
Man könnte sagen: Baltischer Bernstein ist der charmante, aber etwas ungebügelte Charakterdarsteller – schwierig auszuleuchten, voller optischer Eigenheiten, aber oft mit spektakulären Inklusen, die den Aufwand lohnen.
Der Vergleich mit dominikanischem Bernstein
Ganz anders der Bernstein aus der Dominikanischen Republik. Mit einem Alter von nur etwa 16 bis 20 Millionen Jahren ist er deutlich jünger und chemisch weniger gealtert. Sein Harz ist homogener, klarer, fast glasartig – ein Traum für Fotografen. Licht geht hinein, kommt wieder heraus, und kaum etwas dazwischen sorgt für Chaos.

Sein Ursprung liegt wahrscheinlich in Harzen tropischer Dipterocarpaceen, also Hartholzgewächsen, deren Harz von Natur aus stabiler und weniger sauer ist als das der baltischen Kiefernverwandten (Pinites succinifer). Dieses Harz polymerisierte ruhiger, bildete weniger Mikrobläschen und blieb dadurch über Millionen Jahre erstaunlich klar.
Man könnte sagen: Dominikanischer Bernstein ist der makellose Studiogast – unkompliziert, fotogen, immer gut ausgeleuchtet.
Und burmesischer Bernstein?
Er ist der Älteste im Bunde – stolze 95 bis 100 Millionen Jahre alt, also aus der Zeit, als Dinosaurier noch durch tropische Wälder stapften. Und dennoch: Er ist oft so klar, dass man kaum glauben mag, wie alt er ist.

Wie das sein kann? Burmesischer Bernstein stammt vermutlich von Ur-Araukarien oder verwandten tropischen Baumarten, deren Harz chemisch ausgesprochen stabil war. Es enthielt weniger polare Bestandteile, keine Bernsteinsäure und härtete gleichmäßig aus – ohne Emulsionen, ohne eingeschlossene Flüssigkeiten.
Auch das Umfeld spielte mit: ein tropisch-warmes, relativ trockenes Klima mit schneller Verdunstung. Das Harz hatte kaum Gelegenheit, Wasser oder Sauerstoff aufzunehmen und oxidierte deshalb praktisch nicht. Selbst die Diagenese, also die Umwandlung des Harzes im Sediment, verlief sanft: kein Grundwasser, keine aggressiven Chemikalien, keine Druckschwankungen.
Das Resultat: glasklare, goldene bis rötliche Stücke, in denen winzige Urzeitinsekten zu schweben scheinen wie in flüssigem Honig. Man könnte also sagen: Burmesischer Bernstein hatte schlicht die besten Startbedingungen.
Trotz seines hohen Alters ist er so klar, dass man sich fragt, ob er nicht gestern erst aus dem Baum getropft ist.
Mehr Licht, weniger Schärfe – das Paradoxon des hohen NA-Werts
Die naheliegende Idee: einfach ein Objektiv mit höherer numerischer Apertur (NA) nehmen, um feinere Details zu erfassen – schließlich steht die für Auflösung. Dummerweise führt genau das hier aber zu noch mehr Trübung, denn mit steigender NA wird der Einfallswinkel des Lichts größer, wodurch die Reflexe an der Grenzfläche Luft-Bernstein zunehmen. Das Bild wird dadurch in paradoxer Weise um so unschärfer, je schärfer das Objektiv abbildet.

In der Praxis zeigt sich das brutal ehrlich: Beim Mitutoyo M Plan Apo 10× (NA 0,28) erscheint die Bernstein-Inkluse milchig verwaschen, wo das 5× (NA 0,14) noch glasklar war, und beim M Plan Apo 20× (NA 0,42) ist das noch deutlicher, denn das Bild ist praktisch unbrauchbar. Hier erscheint die Bernstein-Inkluse völlig unscharf, wo das 5× (NA 0,14) noch glasklar war. Und das liegt nicht am Objektiv, sondern an der Physik.
Der Bernstein selbst ist natürlich klar – das Problem liegt nicht im Material, sondern im Weg des Lichts durch ihn hindurch. Ein Objektiv mit höherer numerischer Apertur (NA) sammelt Licht in größerem Winkel. Das heißt: Während das 5×-Objektiv nur mit fast gerade eintreffenden Strahlen arbeitet, fängt das 10×-Objektiv auch Licht ein, das schräger durch den Bernstein läuft.
Und genau da passiert das Missgeschick:
Grenzflächenreflexionen:
Bernstein hat einen Brechungsindex von etwa 1,54, Luft, dagegen nur 1,00. Jeder Lichtstrahl, der schräg auf diese Grenzfläche trifft, wird zum Teil reflektiert, zum Teil gebrochen. Je steiler der Winkel, desto mehr Reflexion – und desto mehr Streulicht gelangt ins Bild. Das ist das physikalische Grundprinzip, das sogenannte Fresnel-Reflexion.
Interne Streuung:
Innerhalb des Bernsteins gibt es mikroskopisch winzige Dichteunterschiede, Einschlüsse, alte Harzkanäle usw. Solange das Licht fast senkrecht einfällt, wirken die kaum – aber bei schrägen Strahlen (also hoher NA) wird das Licht seitlich gestreut. Dieses Streulicht überlagert das eigentliche Bild und erzeugt den milchigen Schleier.
Rückreflexionen zwischen Objekt und Linse:
Zwischen Bernsteinoberfläche und Objektiv befindet sich eine Luftschicht. Bei steil einfallenden Strahlen verhält sie sich wie ein winziger Spiegel: Ein Teil des Lichts wird mehrfach hin und her geworfen – das summiert sich zu einem grauen, kontrastmindernden Nebel.
Das Ergebnis: Das 10×-Objektiv „sieht“ mehr Licht als das 5x, aber viel davon ist falsches Licht (gestreut oder reflektiert). Für das Auge bleibt der Bernstein klar, weil unser Sehsystem das Streulicht unbewusst herausfiltert; die Kamera dagegen summiert es gnadenlos mit auf.
Die Idee mit dem Wasser
Wer in der Mikroskopie zu Hause ist, kennt das Prinzip längst: Wenn man störende Reflexe vermeiden will, beseitigt man die Luft zwischen Objektiv und Objekt. Zwischen Objektträger, Deckglas, Kondensor und Objektiv sitzt bei klassischen Mikroskopen ein kleiner Tropfen Immersionsöl. Das sorgt für einen nahtlosen Übergang Glas → Öl → Glas → Öl → Glas, ohne diese abrupten Sprünge im Brechungsindex, an denen Licht sonst gern sein Eigenleben führt. Das Öl hat nämlich fast denselben Brechungsindex wie Glas (n ≈ 1,515), wodurch interne Reflexionen und Streuung weitgehend verschwinden.

Für Bernsteininklusen ist so ein Ölbad allerdings keine besonders gute Idee. Und selbst ein Tropfen Immersionsöl, auf die Bernsteinoberfläche aufgebracht, kann nicht mehr als Kratzer und winzige Unebenheiten auszugleichen, die im Foto zu unschönen Reflexen führen würden. Das grundsätzliche optophysikalische Problem lösen kann es nicht. Es benetzt zwar die Oberfläche perfekt und mindert Reflexe, aber die Geometrie ist völlig anders als im Mikroskop. Die Bernsteinoberfläche liegt schräg, ist selten planparallel, und zwischen Objekt und Sensor entstehen leicht optische Verzerrungen, die feine Strukturen leicht zunichte machen. Außerdem besteht bei längerem Einwirken die Gefahr, dass das Öl die Oberfläche angreift oder Verfärbungen hinterlässt.
Darum greift man lieber zu etwas Unschuldigerem: Wasser. Mit einem Brechungsindex von n ≈ 1,33 liegt es deutlich näher am Bernstein als Luft (n = 1,00) und reduziert so die Lichtstreuung schon erheblich. Das Resultat ist meist sofort sichtbar: kontrastreicher, klarer, farbstabiler. Ganz nebenbei lässt sich Wasser problemlos handhaben, abtrocknen oder wiederverwenden – der Traum jedes Praktikers. Für uns bedeutet das: Die Inkluse wird kontrastreicher, der Schleier verschwindet weitgehend, und man sieht erstmals Strukturen, die in der Trockenaufnahme schlicht verloren gehen.
So weit ist das Tauchbad nicht neu, denn es wird z. B. von Pläo-Entomologen verwendet, um Bernsteininklusen zu fotografieren. Üblicherweise macht man das aber mit einem vertikalen Setup – also Kamera senkrecht nach unten, das Objekt in einer flachen Schale unter der Wasseroberfläche. Klingt gut, hat aber Tücken: Die Wasseroberfläche wirkt wie eine zusätzliche Linse, verformt das Bild und erzeugt neue Reflexe, und sobald sie sich etwas bewegt, wird es noch schwieriger. Außerdem fotografiere ich grundsätzlich lieber horizontal, mit einem Focus-Stacking-Aufbau, der präzise und vibrationsfrei arbeitet – deutlich angenehmer als die turnerische Einlage, die ein vertikales Mikroskop mit sich bringt.
Also baute ich mir ein kleines Fotobecken – aus fünf dünnen Glasscheiben, die einst in ausgemusterten Mittelformat-Diarahmen meines Archivs steckten. Mit Aquariensilikon wurden sie zu einem winzigen Aquarium verklebt.

Diese Aufnahmetechnik entwickelte ich übrigens lange bevor ich durch eine Anregung von Alex Beigel (besten Dank dafür!) der Faszination Millionen Jahre alter Bernsteininklusen erlegen war. Damals wollte ich das Innere einer Leuchtdiode fotografieren, die in transparentem Kunststoff vergossen war – und verzweifelte an den Reflexionen und Lichtstreungen, obwohl ich den Kunststoff in der gewünschten Aufnahmeebene plangeschliffen und auf Hochglanz poliert hatte.
Erst das Wasserbad in meinem Mini-Fotobecken löste das Problem: Die Aufnahme war plötzlich glasklar, kontrastreich und messerscharf – allerdings nur bis zu einem NA-Wert von 0,28 (Mitutoyo M Plan Apo 10×). Beim 20×-Äquivalent mit NA 0,42 zeigte sich wieder der bekannte weißliche Schleier. Doch dazu später mehr.
Den Bernstein fixiere ich am Beckenboden mit Nano-Tape – das hält zuverlässig, lässt sich nach dem Trocknen wiederverwenden und verursacht keine Spuren. Dann wird vorsichtig Wasser eingefüllt, das Becken auf den Objekthalter des Focus-Stacking-Setup gestellt, und die Aufnahme kann beginnen (achten Sie auf Luftblasen; am besten mit einer kleinen Pipette wegblasen).

Das Ergebnis ist verblüffend: Die feinen Antennenfiedern zeichnen sich besser gegen den gelben Bernsteinhintergrund ab, der Schleier ist deutlich schwächer. Aber Wasser hat mit n = 1,33 noch viel Abstand zu Bernstein (n = 1,54) und bleibt darum ein Kompromiss – es streut weniger, aber eben noch genug, um winzige Details zu kosten. Wer wirklich wissen will, was in der Zuckmücke steckt, landet unweigerlich beim Glycerin.
Der Schritt zum Glycerin
Wenn Wasser hilft, müsste ein Medium mit höherem Brechungsindex noch besser funktionieren, dachte ich mir. Glycerin (chemisch: Propan-1,2,3-triol) hat einen Wert von n ≈ 1,473 – das kommt der Sache schon recht nah. Außerdem ist es ungiftig, geruchlos, preiswert und leicht erhältlich (in jeder Apotheke oder online, meist als pflanzliches Glycerin).

All das klingt nach einem idealen Kandidaten. Und tatsächlich: das ist es fast. Allerdings hat Glycerin auch Charakter – zähflüssig wie Honig im Winter und ähnlich widerspenstig, wenn man versucht, es blasenfrei zu bewegen. Darum rate ich von der Empfehlung ab, es mit Wasser zu mischen. Theoretisch klingt das vernünftig, denn es wird dadurch flüssiger, aber praktisch bekommt man eine Emulsion voller Schlieren und beim Verrühren unweigerlich Luftbläschen. Und die Blasen steigen bei der Viskosität von Glycerin nur so schnell auf wie Heliumballons aus Blei. Und zudem sinkt unser Brechungsindex dadurch wieder ab.
Ich verwende daher reines Glycerin. Das wird sehr langsam an der schräg gehaltenen Beckenwand entlang gegossen – nie direkt fallend. So vermeidet man Luftblasen, und das Medium legt sich gleichmäßig über das Objekt.
Wichtig ist außerdem, dass die optische Aufnahmestrecke durch das Glycerin so kurz wie möglich bleibt; der Bernstein wird also dicht hinter der Glasscheibe platziert und keinesfalls mitten im Becken.
Das Ergebnis: Glycerin schlägt Wasser
Vergleicht man Trockenaufnahme, Wasserbad und Glycerinaufnahme desselben Objekts, ergibt sich ein eindeutiges Bild. Der Unterschied zwischen trocken und Wasser ist dramatisch, der zwischen Wasser und Glycerin dagegen subtiler, aber entscheidend, denn im Glycerin lässt sich auch mit höherer NA arbeiten – dort, wo Wasser oder Luft längst kapitulieren.
Beim Beispiel der Zuckmücke war in Luft und Wasser bei NA = 0,14 (Mitutoyo 5×) Schluss. Im Glycerin dagegen gelang problemlos eine Aufnahme mit dem Mitutoyo 10×, NA 0,28 – und das brachte nicht nur mehr Vergrößerung, sondern vor allem mehr Auflösung. Die feinsten Antennenfiedern, die zuvor im trüben Nebeldunst verschwanden, waren nun klar definiert, fast plastisch.

Ab etwa NA 0,4 (Mitutoyo 20×) kehrt der Schleier zurück – nicht, weil das Medium versagt, sondern weil der Bernstein selbst die Grenzen setzt. Je steiler das Licht einfällt, desto stärker streut es im Inneren – ganz gleich, wie perfekt der Brechungsindex angepasst ist. Die Physik zieht hier ihre eigene Schärfegrenze.
Und jetzt? Noch dichter ans Bernsteinlicht: Nelkenöl
Der Brechungsindex von Glycerin (n = 1,473) ist gut, aber nicht perfekt. Bernstein liegt bei n = 1,54 – 1,55. Also fragte ich mich: Gibt es Flüssigkeiten, die diesen Wert erreichen – ohne dass sie das Fossil gleich auflösen?

Nelkenöl (Inhaltsstoff Eugenol) scheint das physikalische Ideal zu sein: n = 1,541 – 1,543. Der Unterschied zu Bernstein ist praktisch null, und die leichte Gelbfärbung ist in der Bernsteinaufnahme nicht zu sehen, insbesondere bei kurzer Aufnahmedistanz im Öl. In der Praxis allerdings ist es, sagen wir: olfaktorisch ambitioniert. Wer damit arbeitet, hat den Duft von Zahnarzt und Gewürznelken stundenlang in der Nase. Und teuer ist es darüberhinaus. Für kurze Sessions ist es fantastisch – das Bild ist brillant, Reflexe verschwinden fast völlig. Doch das Reinigen ist schwieriger (mit warmem Wasser gut abspülen und dann gründlich mit Seife abwaschen), und Etiketten oder Lacke in der Nähe lösen sich schneller als man gucken kann. Meine Bernsteine wurden zwar nicht erkennbar geschädigt, doch die Oberfläche fühlte sich anschließend etwas anders an. Und ein Acrylglasblock, den ich wegen seines Verdrängungsvolumens beim Nelkenöl in das Fotobecken gab, um Material zu sparen, bekam allseitig feinste Spannungsrisse. Trotzdem: Für Einzelaufnahmen lohnt sich der Versuch.
Allerdings sollte die Verweildauer des Bernsteins im Öl begrenzt sein. Ich habe Serien mit unterschiedlichen Abbildungsmaßstäben durchgeführt, was rund 60 Minuten gedauert hat, ohne die Bernsteine erkennbar zu schädigen. Versuchen Sie, weit darunter zu bleiben, und bevor Sie Ihre beste Inkluse abtauchen lassen, können Sie einen Versuch mit einem gewöhnlicheren Stück machen. Und Nano-Tape verliert im Nelkenöl seine Klebrigkeit.
Aber: Nur tatsächliches Gewürznelkenöl kaufen bzw. das Öl aus den noch geschlossenen Blütenknospen, nicht Nelkenblattöl oder Nelkenblütenöl, denn letztere zwei enthalten weniger Eugenol und mehr Fremdstoffe, die es dunkler färben. Die Gewürznelke ist die ungeöffnete Blütenknospe, die viel Eugenol enthält. Das allerdings verflüchtigt sich nach dem Öffnen der Blüte.

Benzylbenzoat
Nach den Versuchen mit Nelkenöl war ich hin- und hergerissen: Das fotografische Ergebnis war brillant – der Geruch dagegen alles andere als das, und der Duft blieb stundenlang. Außerdem zeigte sich, dass der vermeintliche Wundersaft für Bernstein ebenso wenig ideal ist wie für die Nase.
Also suchte ich nach einem Medium, das die gleiche optische Magie ohne die olfaktorischen Nebenwirkungen bietet. Benzylbenzoat, auch Benzoesäurebenzylester genannt, hat einen Brechungsindex von N = 1,568 und ist ist so etwas wie der diskrete Gentleman unter den Immersionsmedien: gepflegt, zuverlässig, riecht nicht nach Zahnarztpraxis – und hält sich chemisch vornehm zurück. Sein Brechungsindex liegt zwar leicht über dem Idealwert für Bernstein (N = 1,54), aber das verzeiht man ihm gern, denn dafür ist er stabil, klar, nicht hygroskopisch und greift den Bernstein nicht an – eine Eigenschaft, die man von manch anderem Kandidaten in dieser Disziplin nicht behaupten kann.

Allerdings sollten Sie beachten, dass Benzylbenzoat nicht ungiftig ist. „Nicht verschlucken, giftig für Wasserorganismen, von Kindern fern halten und nach Gebrauch die Hände gründlich mit Seife waschen“ steht auf der Flasche. Auch sollten Sie während der Arbeit mit dieser Flüssigkeit weder essen noch rauchen.
Meiner Erfahrung nach zeigt sich im Benzylbenzoat-Tauchbad noch ein Hauch mehr Detailreichtum als im Nelkenöl. Dieser Vorteil ist so gering, dass er allein sicher nicht entscheidend wäre, aber hinzu kommt die Geruchlosigkeit, die das Arbeiten enorm erleichtert. Und zudem ist Benzylbenzoat erheblich billiger als das hochwertige Nelkenöl aus der ungeöffnete Blütenknospe. Benzylbenzoat ist darum nach diesen Versuchsergebnissen für meine Fotoarbeit mit baltischen Bernsteininklusen mein absoluter Favorit.

Weitere potenzielle Immersionsmedien
Wer sich dem Brechungsindex des Bernsteins noch weiter annähern will, hat dazu noch weitere Möglichkeiten, mit denen ich allerdings selbst keine eigenen Versuche gemacht habe:
Wintergrünöl (Methylsalicylat, n ≈ 1,536)Ein Klassiker der alten Mikroskopiker. Angenehm süßlich im Geruch, aber ebenfalls nicht ganz unproblematisch: es greift Lacke leicht an und hinterlässt Rückstände. Als Beimischung zu Benzylbenzoat lässt sich der Index fein abstimmen. Wer mit Pipette und Refraktometer arbeitet, kann hier wahre Alchemie betreiben – und erreicht mit etwas Geduld perfekte Anpassung.
Eugenol pur (n ≈ 1,54)Streng genommen ist Eugenol der Hauptwirkstoff des Nelkenöls – wer reines Eugenol kauft, spart sich die ätherischen Nebenkomponenten und damit einen Teil des Geruchs. Allerdings ist es chemisch reaktiver als Glycerin, also nur für kurze Bäder geeignet. Dafür spektakulär in der Bildwirkung. Allerdings auch im Preis.
Cargille-Flüssigkeiten
Für alle, die Präzision lieben: Cargille bietet Brechungsindex-Flüssigkeiten in exakten Abstufungen, z. B. 1,540 / 1,545 / 1,550. Sie liefern theoretisch perfekte Ergebnisse, sind aber teuer, und man muss vorsichtig mit Kunststoffen umgehen – einige Varianten enthalten Lösungsmittel. Kurz gesagt: High-End für den, der weiß, was er tut, und bereit ist, dafür viel Geld zu bezahlen.
Fazit: Was sich wirklich lohnt
Wer Bernstein fotografiert, kämpft nicht nur gegen Unschärfe, sondern auch gegen Lichtstreuung. Ein Tauchbad ist keine Spielerei, sondern die logische Konsequenz aus Physik und Optik. Schon Wasser bringt einen riesigen Fortschritt, Glycerin macht den entscheidenden Unterschied und reicht für den anspruchsvollen Fotografen vermutlich völlig aus. Nur wer so perfektionsbesessen ist wie ich und über eine ähnlich große Portion Verwegenheit verfügt, wird noch weiter gehen wollen – einfach weil es geht. Und nur für diesen Fall empfiehlt sich das Benzylbenzoat.


Nicht Regeln bestimmen das Bild – sondern Physik
Die hier genannten Werte – also die Kombinationen aus Vergrößerung und numerischer Apertur – sollten Sie aber nicht als feste Regeln verstehen. Es wäre zu einfach zu sagen: „Trocken oder mit Wasser geht bis 5× und NA 0,14, Glycerin bis 10× und NA 0,28.“ So funktioniert die Praxis nicht.
Zu viele andere Faktoren spielen mit hinein. Bernstein ist ein Naturprodukt – und damit alles andere als homogen und standardisierbar. Dichte, Form, Struktur, Einschlüsse, selbst der chemische Aufbau variieren von Stück zu Stück. Ein baltischer Bernstein verhält sich anders als einer aus Myanmar oder der Dominikanischen Republik. Auch innerhalb des einzelnen Stücks kann die Klarheit enorm schwanken, und entscheidend ist zudem, wie tief die Inkluse liegt: Je weiter sie von der Oberfläche entfernt ist, desto mehr Material muss das Licht durchqueren – und desto stärker wirken sich Streuung und Absorption aus.
Sogar winzige Schwebestoffe oder Mikrorisse können den Kontrast beeinflussen. Deshalb ist jedes Stück Bernstein ein kleines optisches Einzeluniversum. Die genannten Werte sind also keine Faustregeln, sondern meine Erfahrungswerte – Anhaltspunkte, die zeigen, was unter bestimmten Bedingungen möglich ist. Oder anders gesagt: Man kann sie als Wegweiser nehmen, aber nicht als Landkarte.
Allerdings gibt es auch in der Bernsteinfotografie nichts umsonst. Wo Benzylbenzoat mit seinem höheren Brechungsindex für mehr Schärfe sorgt, legt es gleichzeitig beim Kontrast noch eine Schippe drauf – manchmal zu viel des Guten. Was bei trübem, stark streuendem baltischen Material ein Segen ist, kann bei glasklarem Bernstein schnell zum Fluch werden.
Im ersten Fall wirkt die Kontrastverstärkung wie eine optische Reinigung: Der Schleier, der Feindetails kostet, verschwindet, feine Strukturen treten hervor, und plötzlich wirkt die Aufnahme, als hätte jemand die Staubschicht von 40 Millionen Jahren abgewischt. Im zweiten Fall aber – bei fast perfektem, transparenten Bernstein aus Myanmar oder der Dominikanischen Republik – wird das Bild zu hart, zu betont, fast schon unnatürlich, und auch Lichtreflexe werden schärfer gezeichnet und damit störender. Hier hätten Sie dann die Lösung ohne das Problem, und in diesem Fall ist weniger tatsächlich mehr: Glycerin liefert ein ruhigeres, natürlicheres Ergebnis.
Darum gilt auch hier: ausprobieren. Beginnen Sie mit einer Trockenaufnahme, und wenn das Bild flau wirkt, darf gern „gebadet“ werden – erst in Glycerin, und falls das nicht genügt, in Benzylbenzoat.



Fazit
Bei den meisten Anwendungen würde ich sagen: Glycerin ist das neue Wasser. Es ist leicht zu handhaben, günstig, bernsteinfreundlich und liefert Bilder, die selbst durch das Mikroskopobjektiv fast wie 3D wirken – vor allem, wenn man sie mit einem höheren NA-Wert aufnehmen kann, den Wasser meist noch nicht ermöglicht. Und wenn man dann die winzigen Antennenfiedern einer Zuckmücke nach 40 Millionen Jahren Wartezeit im Bernstein so scharf sieht, als hätte sie gerade noch gezuckt – dann weiß man, warum sich die ganze Mühe lohnt.
Doch wer noch einen Schritt weiter gehen will, dem hilft ein Medium, das in diesem Zusammenhang bislang nirgends erwähnt wurde: Benzylbenzoat. Durch meine Experimente und diese Veröffentlichung wird es erstmals als Immersionsmedium für die Fotografie von Bernsteininklusen vorgestellt. Sein Brechungsindex liegt zwar etwas über dem des Bernsteins, aber die chemische Stabilität ist hervorragend, es ist klar, geruchlos und preiswert. In der Praxis liefert es mindestens die Qualität von Nelkenöl, oft sogar etwas bessere Ergebnisse – jedoch ohne dessen typische Nebenwirkungen oder ein Preisschild zum Fürchten.
Damit wird Benzylbenzoat zu einer neuen Option in der Mikrofotografie von Bernsteininklusen: eine einfache, sichere und hochwirksame Lösung, die zwischen wissenschaftlicher Präzision und praktischer Alltagstauglichkeit vermittelt.

Letztlich ist die Mikrofotografie von Leben im Bernstein weit mehr als eine technische Übung – sie ist ein stiller Dialog, der vierzig Millionen Jahre überbrückt. Mit jedem Fortschritt in Sachen Optik und Licht werden Details sichtbar, die die Natur seit dem Eozän verborgen hielt. Und manchmal entsteht Erkenntnis nicht in einem Labor, sondern einfach durch Neugier, Geduld – und einen Tropfen der richtigen Flüssigkeit.
Benzylbenzoat mag eine unscheinbare Substanz mit einem wenig poetisch klingenden Namen sein, doch in der stillen Welt des uralten Harzes öffnet es ein neues Fenster – eines, durch das wir die Tiefe der Zeit etwas klarer sehen können. Und vielleicht auch mit etwas mehr Ehrfurcht.


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