Im Gefolge der hochauflösenden Digitalfotografie entwickelte sich eine Aufnahmetechnik, die mit Computerhilfe eine beliebig große Schärfentiefe erzeugen kann: das Focus Stacking. Seit einigen Jahren nimmt die Popularität dieser Methode enorm zu. Hier soll das Grundprinzip erläutert werden.
Jeder Makrofotograf kennt das Problem: Je näher die Kamera sich am aufgenommenen Objekt befindet, um so geringer ist die Schärfentiefe. Hinzu kommen weitere Faktoren: Mit zunehmender Objektivbrennweite verringert sich die Schärfentiefe ebenfalls, und auch der Linsendurchmesser wirkt sich drastisch darauf aus, denn je größer die Linse, um so kleiner die Schärfentiefe. Eine Mittelformatkamera mit größerem Filmformat bzw. Digitalsensor hat auch entsprechend größere Objektive, und im Vergleich mit dem Kleinbildformat ist die Schärfentiefe ihrer Aufnahmen erschreckend gering. Ganz anders bei den winzigen Linsen der Smartphone-Kameras: Ihre Schärfentiefe ist bei so gewaltig groß, dass Porträtfotografen sich den Bildhintergrund über interne Algorithmen unscharf rechnen lassen müssen. Für Nahaufnahmen sind solche Minilinsen also ideal, denn dabei erreichen wir Schärfentiefen, von denen wir im Kleinbildformat bestenfalls träumen können.
Dieses Schärfentiefenproblem bei Nahaufnahmen ist so alt wie die Kameratechnik selbst. In der Mikroskopfotografie potenziert sich dieses Problem noch, denn hier beträgt die Schärfentiefe nur noch winzige Bruchteile eines Millimeters. Die Lösung dieses Problems ist relativ einfach und mit vertretbarem Aufwand umzusetzen. Sie nennt sich Stapelfotografie, auf Englisch auch focus stacking, und dazu ist nicht viel mehr nötig als eine herkömmliche Digitalkamera, ein Lineartisch mit fein dosierbarem Vorschub, ein preiswertes Computerprogramm und – natürlich – ein Computer. Am Mikroskop kann man sich den Lineartisch sogar sparen, denn er ist dort quasi eingebaut, als Grob- und Feintrieb.
Schmale Schärfenzone
Zunächst zur Theorie: In der Makro- und Lupenfotografie wird jeweils nur ein kleiner Teil des Objekts scharf abgebildet – eben das, was sich innerhalb der Schärfentiefe befindet. Bei einer Landschaftsaufnahme mit Weitwinkelobjektiv und großem Aufnahmeabstand passt so gut wie alles hinein. Bei der formatfüllenden Makroaufnahme einer Himbeere dagegen wird der überwiegende Teil unscharf dargestellt, denn die Schärfentiefe ist dann schmaler als die Beere.
Genau genommen müssten wir statt Schärfentiefe sogar von der Schärfenebene sprechen, der Fokussierebene, denn nur die Mitte der Schärfentiefe ist wirklich optimal scharf, und diese Ebene ist papierdünnn. Vor und hinter dieser dünnen Fokussierebene nimmt die Schärfe kontinuierlich ab, in beiden Richtungen. Allerdings erkennen wir diese Unschärfe in einer bestimmten Nahzone nicht als solche, denn für unser Auge wirkt es noch scharf, und genau das ist es, was wir als Schärfentiefe bezeichnen.
Fotografieren wir z. B. den Kopf einer Fliege formatfüllend mit einem Lupenobjektiv, etwa im Abbildungsmaßstab 4:1, so wird schlimmstenfalls nur ein schmaler Streifen scharf wiedergegeben. Mit dem Fokussierring des Objektivs können wir diese streifenförmige Schärfenzone auf dem Fliegenkopf nun vor und zurück schieben, aber sie wird durch das Fokussieren nicht breiter – probieren Sie es.
Das Gleiche erreichen wir, wenn wir statt des Fokussierens am Objektiv die ganze Kamera vor und zurück schieben, weil sich dadurch der Abstand zum Objekt verändert. (Tatsächlich arbeite ich bei Makroaufnahmen oft so und stelle nicht am Fokussierring scharf, sondern über den variierten Aufnahmeabstand).
Focus Stacking
Die Lösung des Schärfentiefeproblems heißt Stapelaufnahmen, oder auf Englisch focus stacking. Der Trick der Stapelaufnahmen liegt darin, dass eine Serie von Einzelaufnahmen angefertigt wird, bei denen die schmale Schärfenzone Stück für Stück über das Objekt geschoben wird. Anschließend setzt man ein leicht zu bedienendes Computerprogramm ein, um, vereinfacht ausgedrückt, jedem der Einzelbilder die kontrastreichen, also scharf wirkenden Anteile zu entnehmen und sie in einem zweiten Arbeitsschritt zu einem neuen, durchgehend scharfen Komplettbild zu kombinieren. Das klingt kompliziert, läuft aber mit den heute verfügbaren Software-Versionen automatisch ab.
Diese Vorgehensweise ist mit vielen Aufnahmetechniken kombinierbar. Sie können eine Kamera mit herkömmlichem Makroobjektiv einsetzen (Abbildungsmaßstab bis 1:1), mit einem Lupenobjektiv (1:1 bis 5:1) oder einem Mikroskopobjektiv (bis weit oberhalb von 5:1). Auch einige Spezialobjektive eignen sich dazu, z. B. solche von sehr hoch auflösenden Diascannern – darauf will ich in einem separaten Beitrag eingehen. Je stärker Sie vergrößern, um so geringer ist die Schärfentiefe und um so wichtiger die neue Focus-Stacking-Technik. Und selbstverständlich lässt sich diese Technik auch an einem herkömmlichen Auf- oder Durchlichtmikroskop einsetzen. Zudem lässt sich der ganze Vorgang automatisieren, wie in einem separaten Beitrag ausführlich erläutert werden soll.
Das Light-Scanning-Verfahren
Das Focus Stacking ist eigentlich keine ganz neue Erfindung, denn in der Analogfotografie gab es einen Vorläufer, der das Schärfentiefenproblem auf eine recht ähnliche Weise löste, noch ganz ohne Computer. Der Schweizer Peter Fehrlin, Spezialist für technisch-wissenschaftliche Makroaufnahmen, kombinierte in den 1990er-Jahren eine Stereolupe mit einem speziellen Beleuchtungsverfahren, bei dem nicht das gesamte Objekt mit Licht angestrahlt wurde, sondern nur ein winziger Teil, eben genau jener, der sich innerhalb der Schärfentiefe befand (Light-Scanning-Beleuchtung der Firma Irvine Optical, USA). Der gesamte Rest des Objekts blieb völlig dunkel, wurde auf dem Film also nicht abgebildet. Bei zahlreichen Einzelaufnahmen wurden dann die Fokussierung und der scharf begrenzte Lichtstrahl synchron verschoben, und alle Aufnahmen belichteten dasselbe Einzelbild des Films. Das Ergebnis war ein Foto, auf dem sämtliche Einzelaufnahmen der beleuchteten Schärfenzonen zu einem Gesamtbild verschmolzen waren.
Funktionell ähnelt dies recht genau dem, was wir heute in der Digitalfotografie als Focus Stacking machen, abgesehen davon, dass wir die einzelnen scharf abgebildeten Schärfenzonen nicht durch Lichtstrahl und Dunkelheit isolieren, sondern dies später von einem Computerprogramm ausführen lassen.
Brückenschlag zwischen Makrofoto und Elektronenmikroskop
Wenn wir anstelle des Kameraobjektivs ein Mikroskopobjektiv verwenden, hat dies neben dem größeren Abbildungsmaßstab einen weiteren Vorteil: eine um vieles größeren Abbildungsschärfe. Zwar erkaufen wir uns diese Schärfe mit entsprechend geringerer Schärfentiefe, doch das Problem lösen wir ja durch die Focus-Stacking-Technik.
Focus-Stacking-Aufhnahmen mit einem hochauflösenden, stark vergrößernden Mikroskopobjektiv bieten uns also nicht nur eine beliebig große Schärfentiefe, sondern eine Detailwiedergabe, die an jene einer elektronenmikroskopischen Aufnahme heran reicht. Freilich kann ein Elektronenmikroskop weit größere Abbildungsmaßstäbe erreichen, bis hin zum Vieltausendfachen, aber im Bereich von 10 x bis etwa 50 x, den wir mit einem Mikroskopobjektiv gut abdecken können, erzeugen wir ein Foto vergleichbarer Detailwiedergabe, und zudem mit natürlichen Farben. Ein Elektronenmikroskop arbeitet dagegen ohne Licht, denn es tastet das Objekt ja mit einem Elektronestrahl ab. Darum kann es keinerlei Farben wiedergeben. Eine gute Systemkamera mit einem Mikroskopobjektiv erzeugt dagegen ein Foto mit völlig natürlicher Objektfärbung. Darum kann diese Aufnahmetechnik also gewissermaßen die Brücke schlagen zwischen der herkömmlichen Makroaufnahme und den Bildern eines Elektronenmikroskops.
Die Aufnahmeserie
Der erste Arbeitsschritt des Focus Stacking ist unsere Serienaufnahme, mit der wir die Bilder mit leicht verschobener Schärfentiefe erzeugen. Die Zahl der Einzelbilder hängt vom Aufnahmemaßstab und der Größe bzw. Tiefe des Objekts ab. Bei starker Vergrößerung hat quasi jedes Objekt eine Dreidimensionalität, selbst ein hauchdünnes histologisches Mikroskoppräparat. Für das Ermitteln der erforderlichen Aufnahmeanzahl gibt es prinzipiell zwei Wege.
Der erste ist sehr abstrakt und für mein Empfinden sehr umständlich: Man errechnet die Schärfentiefe seines Objektivs und ermittelt rechnerisch die nötige Anzahl an Einzelaufnahmen, mit der Voraussetzung, dass sich die Schärfenzonen der Einzelaufnahmen gegenseitig jeweils um etwa ein Drittel überlappen, damit die Software sie optimal in Deckung bringen kann. Auf diese Weise erhält man ein Maß für die nötige Vorschubschrittgröße, die man dann an der Einstellschraube des manuellen Lineartischs durchführt oder am Steuergerät eingibt. Diese orthodoxe Vorgehensweise ist mir jedoch zu theoretisch; ich bin Minimalist und habe mir darum eine anderes, vereinfachtes Vorgehen angewöhnt, das ich in einem separaten Beitrag vorstelle.
Die Position des ersten Fotos liegt am Beginn des Objekts, besser noch davor, um sicher zu gehen. Durch schrittweises Verschieben von Kamera oder Objekt verlagern wir die Schärfenebene vorwärts, weil wir den Aufnahmeabstand verringern. Das geschieht entweder am Feintrieb des Mikroskops, an der Feinjustierschraube des Lineartisch auf einer stabilen Focus-Stacking-Vorrichtung oder bei automatisiertem Vorgehen mit Hilfe des Steuergeräts.
Ideal ist hierfür ein Computermonitor, der das Live-View-Bild anzeigt, so dass Sie unter Sichtkontrolle arbeiten können. Auf diese Weise arbeiten wir uns Schritt für Schritt durch das Objekt – z. B. ein Insekt –, nach dem Scheibchenprinzip der Computertomografie.
Der Focus-Stacking-Vorgang
Im zweiten Arbeitsschritt werden die Einzelaufnahmen von einer speziellen Computersoftware analysiert, um sämtliche kontrastreichen Konturen zu erfassen. Jedes registrierte Detail wird auf allen Bildern auf seine Kontraststärke hin verglichen, und in einem anschließenden Sammelprozess fügt die Software dann die jeweils kontraststärksten Details zu einem neuen Gesamtbild zusammen.
Dabei muss allerdings die gegenseitige Überlagerung der Schärfenzonen aller Einzelbilder optimal sein und wie erwähnt, wenigstens ein Drittel betragen, denn die Bearbeitungssoftware muss beim Montageprozess zwei große Schwierigkeiten überwinden. Zum Einen kann es beim Erstellen der Einzelbilder zu horizontalen oder vertikalen Verschiebungen kommen, z. B. durch mechanisches Spiel oder Instabilität der Aufnahmevorrichtung oder auf andere Weise. Dadurch verschiebt sich dann auch das gesamte Bild auf dem Sensor, so dass sich die Einzelbilder nicht mehr perfekt überlagern. Das muss die Software korrigieren, indem sie die Bilder wieder in Deckung bringt.
Zum Anderen verändert sich durch das Fokussieren auch der Abbildungsmaßstab, denn im gleichen Maß, in dem sich unsere Objektivlinsen dem Objekt nähern, nimmt der Abbildungsmaßstab ja zu und die Abbildung wird größer. Hier muss die Software dann die Einzelbilder im erforderlichen Maß verkleinern oder vergrößern, um alles tatsächlich in perfekte Überlagerung zu bringen. Dieses Optimieren der Bildüberlagerung führen die Focus-Stacking-Softwarelösungen jedoch automatisch durch.
Die Focus-Stacking-Software
Zahlreiche Softwarelösungen sind am Markt, neben käuflichen (z. B. „Zerene Stacker“, „Helicon Focus“, „Focus Projects“, „Aphelion“) auch kostenlose Programme, sowohl für Windows- als auch Mac-Betriebssysteme. Auch manche Bildbearbeitungsprogramme beherrschen das Focus Stacking, andere hingegen ermöglichen das Einbinden eines entsprechenden PlugIns. Allerdings gibt es durchaus Unterschiede zwischen den einzelnen Programmen, insbesondere den Bedienungskomfort und die Präzision der Berechnungen betreffend. Aber auch das Vermeiden von Abbildungsfehlern, sogenannten Artefakten, läuft nicht bei allen Softwarelösungen gleich gut.
Auch besitzen einige Programme hilfreiche Detailkopierfunktionen, um im Anschluss an den automatischen Berechnungsvorgang Bildstörungen zu eliminieren, indem man bestimmte Originalbereiche aus einem bestimmten Einzelfoto in das fertig berechnete Ergebnisbild hinein kopieren kann.
Am besten fahren Sie, wenn Sie bestimmte Softwarelösungen einige Zeit kostenlos testen können, um die Arbeitsweise und die Bildergebnisse miteinander zu vergleichen. Ich selbst arbeite mit Helicon Focus, habe zuvor aber auch mit Zerene Stacker gute Erfahrungen gemacht. Was hingegen im Focus Stacking gar nicht funktioniert, sind Stacking-Programme aus der Astrofotografie. Mit ihnen sollen zahlreiche Einzelaufnahmen eines Planeten so kombiniert werden, dass atmosphärisch verursachte Bildstörungen, die bei zahlreichen Einzelbildern an jeweils unterschiedlichen Stellen auftreten, herausgerechnet werden. Auf diese Weise erreicht man z. B. bei Mondkratern mehr Abbildungsschärfe, was allerdings softwaretechnisch ein völlig anderes Vorgehen erfordert als bei unserem Focus Stacking.
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