Die Anzahl an erforderlichen Einzelaufnahmen für ein Focus-Stacking-Foto ermittelt man normalerweise mit einer recht komplexen Rechenprozedur. Um die Prozedur zu erleichtern, will ich hier eine andere, erheblich einfachere Methode vorstellen, durch die ich ganz ohne abstraktes Errechnen auskomme.
Um eine Aufnahmeserie für Focus Stacking zu erstellen, müssen Sie zwei markante Daten ermitteln: die Länge der Aufnahmestrecke mit Anfangs- und Endpunkt sowie die Anzahl der Einzelbilder. Die Schrittgröße ergibt sich dadurch quasi automatisch.
Ersteres ist normalerweise recht einfach: Sie bewegen Ihre Kamera auf dem Lineartisch so dicht an das Objekt heran, dass es auf dem Monitor beginnt, scharfe Konturen zu erzeugen – das ist, vereinfacht gesagt, der Anfangspunkt. Der Endpunkt der Aufnahmestrecke befindet sich dort, wo die Scharfabbildung aufhört und alles wieder unscharf wird. Damit haben Sie die Gesamtstrecke ermittelt, wobei Sie selbst festlegen müssen, wie weit der hintere Teil des Objekts – z. B. der Hinterleib eines Insekts – im Foto auch scharf abgebildet werden soll. Je länger diese Strecke, um so größer die Gefahr ungeliebter Bildstörungen, die als Artefakt bezeichnet werden – doch dazu mehr in einem separaten Beitrag.
Die Zahl der nötigen Einzelaufnahmen festzulegen ist normalerweise eine erheblich komplexere Angelegenheit. Schulbuchmäßig geht man dabei so vor, dass man zunächst einen Annäherungswert für die Schärfentiefe des Objektivs errechnet – mit Hilfe einer physikalischen Formel (z. B. Lichtwellenlänge geteilt durch Numerische Apertur hoch zwei) oder einem Online-Rechner. Das Ergebnis ist ein theoretischer Zahlenwert für die nötige Schrittlänge. Dann teilt man das Maß der Gesamtstrecke durch die Schrittlänge und erhält die theoretische Anzahl der nötigen Einzelschritte. Doch weil die Software, die wir im Anschluss verwenden wollen, eine starke Überlagerung der einzelnen Schärfezonen braucht, kommt noch ein Divisor hinzu, durch den unsere Schrittlänge geteilt werden muss. Dieser Divisor soll zwischen 3 und 6 liegen, je nach gewünschter Abbildungsqualität. Aus dieser Berechnung ergibt sich die Anzahl der nötigen Einzelaufnahmen sowie die Distanz, die Kamera bzw. Objektivlinse pro Einzelschritt näher an das Objekt heran geschoben werden müssen.
Das klingt kompliziert und ist es auch. Hochwertige, präzise Lineartische ermöglichen am Drehgriff für den Vortrieb, diese Strecke an einer Skala abzulesen, und gute Steuergeräte eines motorisierten Lineartischs erlauben, den Wert einzugeben. Man kann das so machen, und es führt auch tatsächlich zu guten Bildergebnissen – keine Frage.
Mir ist diese Vorgehensweise allerdings zu abstrakt und auch zu umständlich. Einerseits bin ich bekennender Mathematik-Legastheniker, und andererseits suche ich als Sachbuchautor stets nach Vereinfachungen, um komplexe Prozeduren leichter nachvollziehbar zu machen. Darum habe ich für meine Arbeit eine Methode entwickelt, mit der ich auf sehr einfache Weise einen zumindest groben Anhalt für die nötige Schrittzahl ermitteln kann – und das reicht mir zum Arbeiten immer absolut aus. Man darf nicht übersehen, dass wir nicht mehr analog mit Filmmaterial arbeiten, das entwickelt werden muss, sondern mit Digitalsensor, der uns das Bild schon vor der Aufnahme zeigt. Zudem können wir vollautomatisiert arbeiten, so dass die gesamte Prozedur auf Knopfdruck wiederholbar ist. Diese Vorteile will ich nutzen.
Die Aufnahmestrecke
Ich gehe wie folgt vor: Ich ermittle zunächst den Anfangspunkt der Aufnahmestrecke – also die Kameraposition für die erste Aufnahme. Dazu stelle ich die Fokussierung (die Kameraposition) so ein, dass das Objekt auf dem angeschlossenen, großen Computermonitor (mit dem ich stets arbeite!) noch völlig unscharf ist. Kein einziges Detail darf scharf zu sehen sein, aber ich befinde mich kurz vor der Scharfdarstellung desjenigen Details, das sich am dichtesten am Objektiv befindet. Genau das ist mein Startpunkt für die erste Aufnahme. Über die vielen unscharfen Strukturen im Bild mache ich mir keine Gedanken, denn die werden später von der Software eliminiert. Dieser Punkt wird dem Steuergerät – bei mir ist es ein Castel micro von Novoflex – als Startpunkt übermittelt.
Um den Endpunkt der Aufnahmestrecke zu finden, also die Position des letzten Fotos, bewege ich die Kamera motorisch vorwärts. Damit schiebe ich die Schärfezone langsam über das gesamte Aufnahmeobjekt hinweg, bis schließlich nach der scharfen Darstellung alles wieder unscharf wird. Das ist absolut wörtlich zu nehmen, denn auch das letzte Detail des Objekts muss vollständig in der Unschärfe verschwunden sein. Das ist die Position meines letzten Einzelfotos.
Die Bildanzahl
Wenn Sie so vorgehen, haben Sie die Aufnahmestrecke erfasst und ein Gespür dafür entwickelt, wie lang sie ist, und auch Ihr Steuergerät weiß nun Bescheid. Was nun folgt, ist reines Bauchgefühl, das durch Erfahrung aber schnell entsteht.
Faktor Nummer eins: Je stärker Ihr Objektiv vergrößert, um so geringer ist die Schärfentiefe – entsprechend mehr Einzelaufnahmen brauchen Sie also. Bei 5x sind es also erheblich weniger als bei 10x, bei 20x noch deutlich mehr. Wie viele das sind, hängt aber auch von Faktor zwei ab, der Streckenlänge.
Faktor Nummer zwei: Wie groß ist die Objekttiefe, die Sie in die Schärfentiefe Ihres Fotos hinein bringen möchten? Beispiel: Wenn ich eine Fliege vor dem Objektiv habe, aber nur ihren Kopf scharf abbilden will, misst diese Strecke beispielsweise zwei Millimeter. Dafür sind weit weniger Einzelfotos nötig, als wenn ich den gesamten Fliegenkörper von vorn bis hinten scharf haben möchte, denn das ist eine Strecke von vielleicht zehn oder zwölf Millimetern. Die Zahl an Einzelaufnahmen pro Millimeter ist die gleiche, und die hängt ab vom Abbildungsmaßstab.
Faktor Nummer drei, den Sie aber bei automatischer Steuerung vernachlässigen können: Der Winkel der Motivfläche zum Sensor. Je paralleler diese beiden Flächen liegen, um so weniger Einzelschritte benötigen Sie, z. B. an der Front des Fliegenkopfs. Mit steigender Gradzahl dieses Winkels müssten theoretisch aber mehr und kürzere Einzelschritte ausgeführt werden. Beim manuellen Stacking können Sie das berücksichtigen, denn Sie arbeiten dann mit Blick auf den Monitor und können die Schrittlänge nach Augenmaß variieren. Beim automatischen Vortrieb allerdings ist das nicht möglich, und bei zu wenigen und zu großen Schritten entdecken Sie später im Bild Unschärfelinien. Besonders leicht sind diese an der Seitenfläche der Facettenaugen zu sehen, wo sie in fast rechtem Winkel zum Kamerasensor steht.
Das alles klingt noch immer kompliziert, ist aber eigentlich ganz simpel: Ich weiß, wie stark mein verwendetes Objektiv vergrößert, z. B. 2:1, 5:1 oder 10:1. Also habe ich eine intuitive Vorstellung davon, ob mir jetzt wenige Einzelaufnahmen pro Millimeter ausreichen oder ich sehr viele benötige. Nun schätze ich meine gewünschte Aufnahmestrecke: Habe ich also einen ganzen Insektenkörper vor mir, mit langer Aufnahmestrecke? Oder fotografiere ich den Flügel eines Schmetterlings, der sehr zweidimensional ist und nur eine sehr geringe Aufnahmetiefe erfordert?
Aufnahmevorgang wiederholen
Bei einem Insektenkörper mit 10 mm Länge und einer 5x-Optik (also Abbildungsmaßstab 5:1) würde ich nach dem Ermitteln der Aufnahmestrecke vom Bauchgefühl her mit 150 Aufnahmen beginnen. Betrachte ich anschließend das automatisiert erzeugte und fertig berechnete Bild in vergrößerter Darstellung, erkenne ich sofort, ob sich Unschärfestreifen zeigen, die darauf hinweisen, dass die einzelnen Schärfezonen sich nicht ausreichend überlappt haben. Dann ist die Aufnahmestrecke für die Bildanzahl also zu lang bzw. die Bilderzahl für die Strecke zu klein. Abhängig von der Breite dieser Unschärfestreifen im Foto muss ich dann für eine Wiederholung eine entsprechend größere Aufnahmeanzahl eingeben. Wir wäre es mit 250? Probieren – die Anlage führt es auf Knopfdruck aus, denn die Aufnahmestrecke vom Start zum Ziel ist ja noch eingegeben. Beim folgenden Durchgang sollten die Unschärfestreifen im fertigen Foto dann nicht mehr zu sehen sein, oder zumindest deutlich schmaler.
Diese vier Bilder mit Ausschnittsvergrößerung zeigen die gleiche Aufnahmestrecke mit unterschiedlicher Zahl an Einzelbildern (25, 50, 100, 200) bei sonst identischen Einstellungen. Man sieht, dass bei zu geringer Bildzahl zwischen den einzelnen Schärfezonen unscharfe Streifen entstehen (Pfeile), die mit zunehmender Bildanzahl schmaler werden. Diese Unschärfestreifen fallen um so mehr ins Auge, je stärker das fertige Foto vergrößert wird.
Zweites Beispiel: Ich nehme einen Schmetterlingsflügel auf, mit einem 20x-Objektiv. Zwar ist die Aufnahmestrecke durch die Zweidimensionalität des Motivs sehr kurz, nur wenig mehr als die Stärke einiger Papierblätter. Aber ich weiß, dass ich bei 20x sehr viele Einzelaufnahmen pro Millimeter Aufnahmestrecke benötige. Darum beginne ich mit wenigstens 200 Aufnahmen – für ein Testbild, mit dem ich z. B. die Lichtführung für das Schattenrelief optimieren will. Ist nach einigen solchen Testaufnahmen alles optimal eingestellt, dann kommt die entscheidende Aufnahmeserie, mit der ich das hochwertige Foto erzeugen will. Hier wähle ich mindestens 300 Einzelaufnahmen.
Befindet sich mein Schmetterlingsflügel allerdings nicht tatsächlich präzise im 90-Grad-Winkel zur optischen Achse, steht er also nicht perfekt parallel zur Sensorebene, dann verlängert dies die nötige Aufnahmestrecke, zum Teil sogar erheblich. In diesem Fall kann es sein, dass ich deutlich mehr Einzelbilder benötige. Darum ist es wichtig, im fertigen Bild immer nach Unschärfelinien zu suchen und die Einstellungen des Steuergeräts unverändert zu lassen, für eine eventuelle Wiederholung der Aufnahme mit mehr Einzelbildern.
Die Schrittlänge des Vorschubs ergibt sich automatisch aus den anderen Werten für Gesamtstreckenlänge und Bildanzahl. Focus-Stacking-Steuergeräte errechnen diese Schrittgröße automatisch nach Eingabe von Start- und Zielpunkt sowie Schrittanzahl.
Manueller Lineartisch
Für das manuelle Focus Stacking mit einem Lineartisch mit Feineinstellschraube gilt im Prinzip das Gleiche, abgesehen davon, dass Sie hier nicht zuvor die gesamte Aufnahmestrecke von Start bis Ziel ermitteln. Sie bewegen die Kamera einfach zum Startpunkt und beginnen Ihre Fotoserie mit winzigen Vorschubschritten, allerdings unter Sichtkontrolle auf einem großen Computermonitor, der direkt an die Kamera angeschlossen ist und Ihnen das Live-View-Bild zeigt. Hier darf der Vorschub nur so langsam erfolgen, dass sich die einzelnen Schärfezonen gegenseitig massiv überlagern. Das ist mit Blick auf den Monitor gut zu erkennen, sofern Sie nicht auf das kleine Kameradisplay schauen, sondern auf einen angeschlossenen großen Computermonitor.
Zu Beginn einer solchen manuellen Aufnahmeserie wissen Sie also noch nicht, wieviele Einzelaufnahmen Sie anfertigen werden, aber Sie haben aufgrund des Abbildungsmaßstabs (2x, 10x oder 20x?) und der Dreidimensionalität Ihres Objekts schon eine grobe Vorstellung davon.
Bei Makroaufnahmen (bis 1:1), z. B. der Blüte einer Blume, reichen oft fünf bis zehn Bilder, weil hier die Schärfenzone (die Schärfentiefe) noch recht ansehnlich breit ist. Zudem besitzt ein Makroobjektiv eine Blende, die bei passender Einstellung Ihre Schärfentiefe vergrößert.
Bei mikroskopischen Vergrößerungsmaßstäben von 20:1 sind es aber selten weniger als 300 Einzelbilder, teilweise noch erheblich mehr. Wichtig ist eben, dass Ihre einzelnen Bewegungsschritte nicht zu groß sind. Ich erreiche bei manuellem Arbeiten (was sehr selten geschieht) die besten Ergebnisse, wenn jedes winzige Detail des Objekts, also z. B. eine bestimme Borste auf dem Fliegenkopf, in wenigstens drei der Bilder innerhalb der Schärfentiefenzone liegt, die ich auf dem Monitor erkennen kann. Es reicht nicht, dass die einzelnen Schärfentiefenzonen hintereinander liegend das gesamte Objekt abdecken, denn die Software, die anschließend das Bild errechnet, benötigt ja großflächige Überlagerungen der einzelnen Schärfezonen.
Freilich können Sie durchaus mit der orthodoxen Methode die theoretisch nötige Schrittzahl präzise errechnen. Doch meiner Erfahrung nach bringt die physikalisch-mathematische Methode gegenüber der hier vorgestellten groben Schätzung von Bildanzahl und Schrittgröße keine Vorteile, die im Bild sichtbar wären. Nützlich wäre dies höchstens, um bei rein manuellem Arbeiten ein Zuviel an Aufnahmeschritten vermeiden, denn die kosten Zeit und Mühe. Doch wie erwähnt, nutze ich stets die technischen Möglichkeiten, diesen Vorgang zu automatisieren, auch an einem herkömmlichen Mikroskop (worauf ich in einem separaten Beitrag eingehen möchte).
Und letztlich ähnelt die hier vorgestellte Methode auch dem, was beim internen Focus Stacking bzw. Focus Bracketing in modernen spiegellosen Systemkameras geschieht (auf das ich ebenfalls in einem separaten Beitrag eingehen will): Sie legen die Zahl der Einzelaufnahmen nach Bauchgefühl fest, nachdem Sie eine Vorstellung von der Länge der Gesamtstrecke entwickelt haben, also z. B. der Körperlänge des Insekts, das Sie aufnehmen möchten.
Daniel Knop, www.knop.de
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