Spiegelungen nach unten sind bei Fotos ein beliebter Effekt, der die dreidimensionale Bildwirkung verstärkt. Oft wird dies künstlich in der Bildbearbeitung erzeugt. Hier wird verraten, wie Sie bei der Makrofotografie und im Focus Stacking mit Mikroskopobjektiven eine solche Spiegelung auf physikalischem Weg erreichen können.
Ich erinnere mich noch sehr genau an den Moment, in dem ich zum ersten Mal eine Makroaufnahme eines präparierten Insekts mit einer Spiegelung in der schwarzen Bodenfläche sah. Sie stammte von einem Fotografen aus England, und ich war absolut fasziniert von der ästhetischen Wirkung. Tatsächlich war hier schon mit künstlerischer Gestaltung gearbeitet worden, im Gegensatz zu einem sachlich gehaltenen Foto des Insekts, das ja dokumentarischen Charakter hat. Hier aber sah man Kreativität, und sehr viel Ästhetik dazu.
Lange Zeit hindurch versuchte ich vergeblich, in das Geheimnis dieser Aufnahmeweise einzudringen. Der britische Fotograf selbst ließ meine Anfragen natürlich unbeantwortet. Wer will sich schon von Nachahmern in die Karten schauen lassen.
Mit Internet-Recherchen fand ich schließlich heraus, dass man so etwas mit einer Glasplatte macht. Unterhalb der Glasplatte muss ein Freiraum sein, der das von oben kommende Licht schluckt, so dass es nicht als Reflexion ins Bild gelangt, sondern der Untergrund rabenschwarz wird. Da die Glasplatte aber an ihrer Oberfläche einen kleinen Teil des auftreffenden Lichts zurückwirft, gelangt
das wenige vom aufgenommenen Insekt direkt zur Glasscheibe reflektierte Licht als Glasscheibenspiegelung zum Objektiv.
Eigene Versuche folgten, der Einfachheit halber auf meinem damaligen Schreibtisch, den ich aus der Frontscheibe meines früheren und nach 20 Jahren Betrieb zerlegten 6.000-l-Meerwasseraquariums gebaut hatte. Die Glasplatte hatte eine Stärke von 19 Millimetern, und ich bekam zwar eine Bodenspiegelung des fotografierten Käferchens auf schwarzem Untergrund, aber sie war doppelt.
Das ging darauf zurück, dass eine Glasplatte zwei Spiegelungen erzeugt; eine beim Eintritt des Lichts in das Glas, bei dem ein Teil der Fotonen reflektiert wird, und eine zweite beim Lichtaustritt, bei dem ebenfalls ein Teil des Lichtes zurückgeworfen wird. Die Folge war ein unscharf wirkendes Doppelbild, das sich mit meinen Erwartungen nicht deckte.
Versuche mit dünneren Glasscheiben rückten die beiden Einzelbilder zwar näher zusammen, doch es blieb eben ein Doppelbild, und damit war ich unzufrieden.
Der nächste Schritt waren Versuche mit einer schwarzen, Licht schluckenden Filzlage in ca. fünf Zentimetern Abstand hinter der Glasscheibe – ebenfalls ein Rat, den ich in einem Webseitenbeitrag gelesen hatte. Das Schwarz des Untergrunds im Foto wurde dadurch tiefer, aber die Doppelspiegelung blieb.
Daraufhin beschloss ich, es mit einem anderen Material zu versuchen, zumal ich zum Verarbeiten von Glas nie eine entspannte Beziehung gefunden hatte – es brach einfach immer anders, als von mir geplant. Mit Acrylglas – im Volksmund Plexiglas genannt, was aber tatsächlich nur das Material eines bestimmten Herstellers bezeichnet – hatte ich dagegen schon jahrzehntelang Erfahrung und in meiner kleinen Werkstatt auch passende Maschinen. Darum folgten Versuche mit schwarzen und weißen Acrylplatten. Da ich mit Lichtdiffusoren arbeitete, mussten die Acrylplatten etwas konisch gesägt und geschliffen werden. Zudem war wichtig, dass sie tatsächlich hochglänzend und kratzerfrei waren. Über Ebay ist das Material auf Wunschgröße gesägt bestellbar, beidseitig mit Schutzfolie beklebt (wichtig!). Ich wählte 10 x 10 cm.
Nach zwei Sägeschnitten und etwas Schleifarbeit hatten die Platten die erforderliche Form, denn ich musste dazu in der Lage sein, sie weit in den Diffusortrichter hinein zu schieben. Je nach Form und Abmessungen Ihres Lichtdiffusors bzw. der Größe Ihrer Acrylplatten ist dieser Bearbeitungsschritt möglicherweise sogar überflüssig. Erst kurz vor den Aufnahmen wurden die Schutzfolien abgezogen.
Die ersten Aufnahmeversuche waren sehr ermutigend, denn sie zeigten, dass ich mit diesem Material auf einem guten Weg war. Allerdings hatte das Acryl auch einen entscheidenden Nachteil: Es zog durch seine statische Aufladung winzigste Staubteilchen aus der Luft an. Das manuelle Reinigen durch Abwischen konnte diese zwar entfernen, erhöhte aber die statische Ladung der Platte, woraufhin noch mehr Staubteilchen angezogen wurden.
Um dieses Problem wenigstens zu minimieren, setzte ich in dem allerdings sehr kleinen Raum (ca. 16 Quadratmeter) einen Luftbefeuchter ein, der mit Wasser arbeitete und dadurch auch eine Art Luftwäsche durchführte, der Raumluft also Staubpartikel entzog. Das Ergebnis war besser, aber noch immer befanden sich auf der schwarzen Acrylplatte im fertigen Foto weiß wirkende Staubteilchen, oft massenhaft.
Dieses Problem ließ sich nur durch eine anschließende Bildbearbeitung am Computer lösen. Glücklicherweise ist die Bildoptimierung mit modernen Bildbearbeitungsprogrammen (ich verwende hierzu Affinity Photo) außerordentlich einfach, so dass sich diese Staubteilchen mit vertretbarer Nachbearbeitung entfernen lassen. Vergessen Sie aber nie, diejenigen Staubteilchen, die Sie im Fußbereich Ihres Käferchens löschen, auch in seiner Spiegelung weiter unten zu entfernen, denn dort erscheinen sie ja ebenfalls.
Auch können Sie die Bodenspiegelung des Motivs in der Helligkeit reduzieren. Das macht sich gut, denn das Auge des Betrachters will stets eine Art Priorisierung, etwas, das mehr ins Auge springt als alles andere. Hier ist der Käfer das Hauptmotiv, und darum muss er kräftiger beleuchtet sein als seine Bodenspiegelung in der Acrylplatte, weil dann das Auge des Betrachters nicht im Bild umherirrt, um nach einem Fixpunkt zu suchen; er ergibt sich durch die Helligkeitsunterschiede automatisch – ein Trick aus der Werbebranche. Dunkeln Sie darum die Spiegelung lieber etwas ab; das entspricht auch der natürlichen Wahrnehmung, denn das Sonnenlicht trifft auf einen Gegenstand ja von oben auf.
Während ich bei den ersten Versuchen mit einer behelfsmäßigen Trägerstruktur für diese Platten arbeitete, um sie im erforderlichen Winkel schräg auf dem Focus-Stacking-Setup zu befestigen, ließ ich mir später eine Vorrichtung einfallen, auf der die Platten leicht befestigt werden können, und zwar so, dass ihr Winkel auch verstellbar ist. Zudem sind diese Platten hier leicht austauschbar, z. B., um zwischen Schwarz und Weiß zu wechseln.
Das Erstellen dieser Vorrichtung ist relativ einfach. Basis ist in meinem Fall der höhenverstellbare Objekthalter, den ich auf meinem Focus-Stacking-Setup meist verwende. Allerdings ist er modular aufgebaut und kann angepasste Aufsätze tragen, die jeweils für unterschiedliche Aufgaben konzipiert sind. Er besitzt ein Element zur Höhenverstellung und einen Kugelkopf, auf dem das jeweils geeignete Haltemodul befestigt wird. In diesem Fall sollte es also die Acrylplatte sein.
Für die Befestigung der Acrylplatte an dem 1/4-Zoll-Gewinde des Kugelkopfs verwendete ich zwei Fußplatten von ausrangierten Blitzgeräten.
Diese beiden Platten wurden an der Oberseite plan geschliffen, um die Acrylplatten darauf zu kleben.
Um die Platten später, wenn sie vom Reinigen Mikrokratzer aufweisen (in Makroaufnahmen sieht man schließlich alles!) leicht austauschen zu können, verwendete ich als Kleber das dicke Nano-Tape, das in Rollenform erhältlich ist und beidseitig so klebt, dass es später verhältnismäßig leicht ohne Rückstände entfernt werden kann.
Diese beiden Blitzhalter wurden an die Unterseite der Acrylplatten geklebt, und fertig waren hochglänzende Aufnahmeplatten in Schwarz und Weiß mit einem 1/4-Zoll-Gewinde an der Unterseite, das sich leicht auf das Stativgewinde des Kugelkopfs schrauben ließ.
Mit einem Kugelkopf wird die Platte auf einem höhenverstellbaren Stativ angebracht
Ein kleines höhenverstellbares Eigenbaustativ trägt auf einem Kugelkopf eine bearbeitete Acrylglasplatte, die mit einem aufgeklebten Blitzgerätehalter befestigt wurde, Seitenansicht
Auch beim Lösen eines weiteren Problems hilft das transparente Nanotape: Wegen der Schräglage der Acrylplatte und ihrer glatten Oberfläche neigen präparierte Insekten dazu, während der Aufnahmeserie allmählich abwärts zu rutschen. Beim Einsetzen von Blitzgeräten kann das sogar so weit gehen, dass durch den Lichtimpuls jeweils ein kurzer Sprung des Insekts ausgelöst wird, vermutlich durch statische Aufladung. Darum ist eine wenigstens leichte, provisorische Befestigung unerlässlich. Dafür verwende ich ein winziges Stückchen dieses Nanotapes, allerdings nur wenig mehr als einen Millimeter groß. Es wird mit einer spitzen Pinzette auf die Platte geklebt, um das Insekt mit seiner kamerafernen, nicht sichtbaren Körperseite leicht dagegen zu drücken. Die Klebung ist dann für das Objektiv nicht sichtbar, aber die Haftkraft ausreichend, um das Bewegen während der Aufnahmen zu verhindern. Anschließend kann das Insekt leicht und spurlos abgezogen werden.
Das Ergebnis dieser Aufnahmestrategie sind Fotos, die ganz besondere ästhetische Qualitäten haben und künstlerische Gestaltung beinhalten. Machen Sie sich aber in Bezug auf den Zeit- und Arbeitsaufwand keine Illusionen. Solche Aufnahmen macht man in keinem Fall im Vorbeigehen.
Sie müssen zahlreiche Aufnahmeserien durchführen, um die Schokoladenseite des jeweiligen Insekts zu finden. Drehen Sie das Insekt in kleinen Schritten nach links und nach rechts. Variieren Sie den Neigungswinkel der Acrylplatte in der einen oder anderen Richtung. Suchen Sie nach der besten ästhetischen Wirkung Ihres Fotomodells wie ein Fotograf, der ein neues Sportwagenmodell für den Verkaufsprospekt ablichten soll.
Es gibt in der Regel nur eine einzige Aufnahmeposition, in der die ästhetischen Qualitäten des Tierchens wirklich optimal zur Geltung kommen, und die finden Sie meist nur durch Versuch und Irrtum. Man sieht so etwas erst im fertigen Foto. Das bedeutet, dass Sie möglicherweise zwei oder drei Stunden am Stück arbeiten, um zum Ziel zu kommen, und manchmal ohne am Ende ein perfektes Bildergebnis zu haben – es passt einfach nicht zu wirklich hundert Prozent. Lassen Sie sich in solchen Fällen nicht entmutigen; meist liegt es am Fotomodell und nicht an Ihnen. Nicht jedes Käferchen eignet sich tatsächlich dafür. Versuchen Sie einfach ein anderes, und zwar bevor Sie viel Zeit in die Nachbearbeitung investieren.
Die Farbe des Untergrund prägt das Foto in ganz entscheidender Weise. Schwarz wirkt geheimnisvoll und erzeugt eine starke künstlerische Spannung, schluckt aber auch Details. Weiß dagegen wirkt eher analytisch und dokumentariscg; die Unterseite des Motivs ist erheblich besser beleuchtet, weil der weiße Untergrund viel Licht nach oben reflektiert. Dafür ist die Bodenspiegelung allerdings weit schwächer und quasi farblos. Beides hat seine Vor- und Nachteile, und beides kann die ideale Lösung sein. Probieren Sie darum auch beide Farbvarianten aus, wenn Sie sich nicht sicher sind, was Ihnen besser gefällt.
Wenn Sie aber hier und da ein Bild erstellen, das ästhetisch reizvoll wirkt und Ihnen auch mit einigen Tagen oder Wochen Zeitabstand noch immer gut gefällt, dann haben Sie ein Motiv, das Sie auch im Großformat an die Wand hängen können. Ich habe mir solche Insekten, die ich auf Acryl fotografiert habe, sinnigerweise hinter eine Acrylplatte drucken lassen, weil hier die Farben ganz besonders kräftig wirken und das Motiv noch weit besser zur Geltung kommt, als wenn es auf Papier gedruckt wäre.
Die Focus-Stacking-Aufnahmen mit Makro- oder Mikroobjektiv besitzen eine so hohe Auflösung, dass sie sich leicht auf 100 oder 150 cm Kantenlänge hochskalieren lassen, ohne an Schärfe zu verlieren – ideale Voraussetzungen für die Nutzung als Wandbild
An einer weißen Wand eines Treppenhauses befinden sich drei Wandbilder, die jeweils einen Rüsselkäfer zeigen, Blick von oben die Treppe hinunter
Bei den Optiken, die ich für solche Fotos einsetze, handelt es sich fast immer um zwei Filmscannerobjektive von Nikon: den 7-Linser 1,5:1 bis 2:1 und den 14-Linser für 1:1 oder etwas darunter. Abbildungsschärfe und Farbkontrast dieser beiden Objektive sind schlicht phänomenal. Für kleinere Abbildungsmaßstäbe wähle ich ein Canon RF 100 mm f2,8 L, und natürlich können Sie auch jedes beliebige andere Makroobjektiv verwenden.
Neben schwarzen und weißen Acrylplatten können Sie auch mit anderen Materialien und Farben experimentieren. Leser dieses Blogbeitrags wiesen auf eigene Erfahrungen hin und schlugen z. B. das Display eines ausgeschalteten Smartphones bzw. Tabletcomputers vor (Janusz Szymanski, Ben Gruver), das ja über eine extrem dünne Glasscheibe verfügt, so dass keine Zweitspiegelung zu sehen ist. Scott Burgess hingegen empfahl eine Keramikfliese, die schwarz glasiert ist.
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