Was ist eigentlich der n.A.-Wert eines Mikroskopobjektivs? Das ist die numerische Apertur, klar, der Wert ist auf dem Objektiv außen eingraviert. Aber was genau ist das denn? Man sollte das durchaus wissen, denn es entscheidet über die Detailwiedergabe unserer Objektive. Und im Grunde ist es ganz einfach …
Die numerische Apertur eines Mikroskopobjektivs entscheidet darüber, wie klein Strukturen sein dürfen, um für die Linsen noch darstellbar zu sein. Und das hängt zusammen mit der Beugung der Lichtstrahlung.
Zunächst ein Bisschen Physik. Eines vorweg: Manche Zusammenhänge werden hier stark vereinfacht dargestellt, um Grundsätzliches verständlicher zu machen, denn genau darauf kam es mir an. In Wirklichkeit ist natürlich alles viel, viel komplizierter – eben wie im richtigen Leben.
Beugung von Lichtstrahlung – was ist das? Was nun kommt, ist ein stark vereinfachender Vergleich, der aber den physikalischen Vorgang, der dahinter steht, verständlich macht. Stellen Sie sich vor, Sie stehen im Garten vor einer Holzwand und halten einen Gartenschlauch in der Hand. Im Holz der Wand sehen Sie ein Astloch, und zum Spaß halten Sie den Schlauch, aus dem ein kräftiger, schmaler Wasserstrahl tritt, auf das Astloch. Der Strahl ist dünner als das Astloch, und darum geht er ungehindert hindurch. Wer also hinter dem Astloch steht, bekommt einen dünnen Wasserstrahl ins Gesicht. Nennen wir das den Versuch A.
Nun sehen Sie links davon ein weiteres Astloch, das etwas kleiner ist, und Sie richten den Wasserstrahl darauf – Versuch B. Der Strahl tritt ebenfalls hindurch, berührt aber rundum den Lochrand. Wer hinter dem Astloch steht, bekommt anstelle eines dünnen Strahls einen sehr breiten, dessen äußerer Anteil sich trichterförmig auffächert – er wird also von oben bis unten nass.
Was ist passiert? Die äußere Schicht des Wasserstrahls in Versuch B hat allseitig das Holz berührt, und diese Wassermoleküle wurden verlangsamt und abgelenkt, sie änderten dadurch ihre Bewegungsrichtung. Das hat die Trichterform des Wasserstrahls erzeugt.
Stellen Sie sich nun vor, die Holzwand wäre eine Kamerablende, das Astloch die Blendenöffnung, und der Wasserstrahl wäre ein Lichtstrahl. Und die Person hinter der Holzwand ersetzen Sie durch einen Kamerasensor. Dadurch, dass Ihr Lichtstrahl in Versuch B rundum den Lochrand berührte, haben Sie eine Lichtbeugung verursacht. Die Fotonen, aus denen das Licht besteht, wurden am Blendenrand nach außen abgelenkt, und das Ergebnis ist eine Beugungsunschärfe; in der Peripherie des Strahls rundum wurde das Licht gestreut und in einem bestimmten Winkel umgelenkt.
Freilich wird jeder Fachmann einwerfen, dass die Fotonen des Lichtstrahls anders als die Wassermoleküle nicht mechanisch durch den Blendenkontakt abgelenkt wurden, sondern durch ein lichtphysikalisches Phänomen, das damit zusammenhängt, dass sich hinter der Blende keine Fotonen befanden, aber das ist in diesem Zusammenhang nebensächlich, darum will ich es hier vernachlässigen. Die Analogie mit dem Wasserschlauch kann zumindest ein Verständnis für den Vorgang an sich schaffen.
Das Abbild, das solche gestreuten („gebeugten“) Lichtstrahlen auf dem Sensor erzeugten, wäre nicht ein kleiner, runder, scharf begrenzter Fleck, wie es in Versuch A gewesen wäre, sondern ein etwas größerer Fleck mit unscharfem Rand. Diesen bezeichnet man als Beugungsscheibchen, und diese finden sich bei kleiner Blendenöffnung um alle Bildpunkte herum, was den gesamten Schärfeeindruck des Bilds drastisch reduziert.
Je kleiner die Blendenöffnung, um so größer sind die Beugungsscheibchen um jeden Bildpunkt. Für die Fotografie mit Mikroskopobjektiven kommt noch etwas hinzu: Unglücklicherweise ist dieser Effekt um so stärker, je kleiner die abgebildete Struktur ist, denn der Ablenkungswinkel wird dabei größer.
Um die betreffende Struktur trotzdem abzubilden, müssen wir einen möglichst großen Teil dieses abgelenkten Lichts mit auffangen, und je größer der Ablenkungswinkel, um so schwieriger ist das, weil dieses abgelenkte Licht schwächer ist. Unser Objektiv braucht dann einen entsprechend größeren Öffnungswinkel, um mehr dieser abgelenkten Lichtstrahlung aufzufangen. Und genau damit kommen wir zum eigentlichen Thema, der numerischen Apertur.
Was ist ein Öffnungswinkel?
„Die numerische Apertur eines Objektivs ist der Sinus des halben Öffnungswinkels“ – so sieht es ein Lexikon. Das klingt kompliziert, darum wollen wir es etwas vereinfachen. Die Physik definiert es etwa so: Der Öffnungswinkel eines Objektivs ist der Winkel, den ein Punkt auf der optischen Achse (unser fokussiertes Objekt) mit dem Durchmesser der Eintrittspupille bildet.
In der Grafik sehen wir ein Objektiv in Seitendarstellung, und davor einen roten Punkt, den wir fokussiert haben. Er liegt in der Mitte, also auf der optischen Achse. Bei einem bestimmten Abstand zur Frontlinse ist der Punkt scharf fokussiert, und bei dieser Konstellation lässt sich der Öffnungswinkel bestimmen. Maßgeblich ist immer der halbe Öffnungswinkel, der aus der optischen Achse und einer gedachten Linie vom fokussierten Punkt zum Rand der Linse besteht, wie in der Grafik dargestellt. Nehmen wir für dieses Objektiv einen Winkel von 45 Grad an. Der Sinus von 45° ist 0,7. Unser Objektiv hat also eine numerische Apertur von 0,7. Die kleinsten Partikel, die es noch darstellen kann, messen etwa 0,5 Mikrometer (µm). Aber der Arbeitsabstand dieses Objektivs ist denkbar gering.
Größerer Arbeitsabstand
Was geschieht, wenn wir den Arbeitsabstand vergrößern? Im Fokus Stacking brauchen wir für gute Lichtführung einen relativ großen Abstand zwischen Objekt und Frontlinse, während das in der allgemeinen Mikroskopie, z. B. in der Medizin, meist nicht nötig ist. Die allermeisten Laborobjektive für biologische bzw. medizinische Untersuchungen haben einen sehr geringen Arbeitsabstand, oft nur Bruchteile eines Millimeters. Im Fokus Stacking aber wird die Sache erst bei etwa rund 10 mm interessant, und manche Objektive besitzen einen Arbeitsabstand von komfortablen 35 mm.
Geben wir unserem imaginären Objektiv also statt der bisherigen paar Millimeter einen Arbeitsabstand von zwei Zentimetern. Was hat sich nun verändert? Der Öffnungswinkel ist dramatisch kleiner geworden und liegt jetzt bei nur noch 25 Grad (alle Werte sind rein fiktiv, verdeutlichen aber die physikalischen Zusammenhänge). Der Sinuswert von 25° beträgt 0,422. Unser Objektiv hat nun also eine numerische Apertur von 0,42, mit der Folge, dass die Wiedergabe feinster Strukturen deutlich schlechter geworden ist. Ein Objekt muss nun mindestens 0,7 µm groß sein, um vom Objektiv noch dargestellt zu werden.
Um den Öffnungswinkel und damit die numerische Apertur (und die Detaildarstellung) auf dem hohen Niveau von Objektiv 1 zu halten, hätten wir hätten zusätzlich zum Arbeitsabstand auch noch den Durchmesser Linsen entsprechend vergrößern müssen. Versuchen wir es also einfach einmal.
Farbfehler – chromatische Aberrationen
Nun haben wir ein Objektiv mit großem Arbeitsabstand und großem Öffnungswinkel, also hoher numerischer Apertur und demzufolge guter Auflösung. Doch jetzt zeigt sich ein neues Problem: Abbildungsfehler einer Linse summieren sich stets vom Zentrum aus radial zum Linsenrand hin. Mit anderen Worten: Was auch immer die Linsen an Abbildungsfehlern produzieren, z. B. chromatische Aberrationen (Farblängs- oder Farbquerfehler, die Farbränder erzeugen), Verzerrungen oder Schärfeverlust, wird im Zentrum gering bis nicht wahrnehmbar und am Linsenrand stark sein. Je größer der Linsendurchmesser, um so stärker können die der Linse eigenen Abbildungsfehler im Randbereich sein. In der Grafik von Objektiv 3 wurde dies durch eine zunehmende Rotfärbung symbolisiert.
Eine mögliche Lösung des Problems läge darin, nun einen besonders kleinen Kamerasensor zu verwenden. Zum Vergleich zeigt die folgende Grafik zwei verschiedene Sensorgrößen, wodurch deutlich wird, dass der kleinere die problematischen Bildanteile nicht abbildet. Genau so macht man es üblicherweise in der Labormikroskopie, z. B. in Biologie oder Medizin. Beim Einblick in die Okulare sehen wir ein kreisförmiges Bild. Was weiter in der Peripherie im nicht sichtbaren Anteil der Objektivabbildung passiert, interessiert hier niemanden, und für Labor-Mikroskopkameras werden vom Objektivherstellern oft auch nur sehr kleine Sensoren freigegeben (z. B. Nikon 20x bzw. 50x CFI TU Plan Epi ELWD: 2/3-Zoll-Sensor). Ein solcher Sensor ist geradezu winzig und reicht mit seinen Ecken kaum an den Rand des kleinen, runden Okularbilds und ist weit vom Bildkreis entfernt. Abbildungsfehler im nicht sichtbaren Randbereich wird er also nicht registrieren.
Probleme mit Vollformatsensoren
Zwar könnte dieses Objektiv durchaus einen so großen Bildkreis haben, dass sein Bild groß genug wäre, um einen KB-Vollformatsensor abzudecken. Allerdings würden wir hier vermutlich im gesamten Randbereich starke Einschränkungen wahrnehmen, z. B. in Sachen Schärfe oder chromatischer Korrektur, wir würden also Unschärfen und vermutlich auch Farbränder sehen. Bei einem deutlich kleineren Sensor, z. B. APS, könnte es durchaus erheblich besser sein. Wie weit die geringeren Abbildungsfehler am Bildrand hier noch tolerabel wären, hinge dann von den persönlichen Erwartungen ab.
Ein kleiner Trick …
Um mit einem solchen Objektiv arbeiten zu können, das im Randbereich Farbfehler, Unschärfe oder andere Abbildungsfehler erzeugt, im zentralen Bereich aber ein gutes Bild aufweist, habe ich mir einen kleinen Trick einfallen lassen, der bei manchen Unendlich-Mikroskopoptiken anwendbar ist. Man verringert etwas den Auszug (Abstand zwischen Lichtaustrittslinse des Objektivs und dem Kamerasensor), um dadurch den Abbildungsmaßstab zu verringern. Bei einem 20x-Objektiv kann dadurch z. B. ein Maßstab von 17x oder weniger entstehen. Viele Unendlich-Objektive, die mit einer Tubuslinse verwendet werden, sind hier sehr flexibel (mehr dazu gelegentlich in einem separaten Beitrag, denn dies eröffnet interessante Möglichkeiten).
Wenn Sie so arbeiten, schließen Sie einen Teil des Motivumfelds, den Sie eigentlich nicht abbilden möchten, in das Bild ein, und genau diese unerwünschten Strukturen sollten dann in der problembehafteten Randzone sein. Das fertige Bild wird dann hochskaliert und entsprechend vergrößert, um den ungewünschten Außenbereich zu beschneiden und damit zu entfernen. So haben Sie die zu erwartenden Abbildungsfehler entfernt, Ihr gewünschtes Motiv aber trotzdem vollständig abgebildet. Auf diese Weise verlieren Sie zwar etwas an Feindarstellung, weil Sie einige Prozent durch das Hochskalieren leervergrößert haben, doch letztlich haben Sie genau den Bereich abgebildet, den Sie haben wollten, und zwar im optimalen Fall ohne die Abbildungsfehler.
Eine andere Lösung des Problems wäre, die Korrektion der Linsen zu verbessern, um diese Abbildungsfehler zu verringern. Eine apochromatische Korrektion beispielsweise wäre eine Möglichkeit, die Farbfehler zu vermeiden. Aber das kostet natürlich Geld, denn dazu benötigt man spezielle, sehr teure Gläser. Aber auf diese Weise wäre das Objektiv dann auch mit einem KB-Vollformatsensor nutzbar.
Hier wird deutlich, dass am Objektiv praktisch keine optische Eigenschaft verändert werden kann, ohne andere Eigenschaften zu beeinflussen. Im Prinzip ähnelt das dem Konstruieren eines Formel-1-Rennwagens: Einen schnellen Boliden zu konzipieren, ist relativ leicht, wie schon Adrian Newey feststellte. Ebenfalls recht einfach ist es, ein zuverlässiges F1-Fahrzeug zu konstruieren. Aber jede dieser beiden Eigenschaften geht auf Kosten der anderen. Machen Sie den Wagen schneller, bezahlen Sie mit der Zuverlässigkeit, machen Sie ihn zuverlässiger, kostet das Tempo. Und um ein schnelles F1-Fahrzeug zu bauen, das zugleich extrem zuverlässig ist, brauchen Sie einen wahrhaft genialen Konstrukteur.
Ebenso ist das im Objektivbau. Was auch immer Sie ändern, beeinflusst andere Eigenschaften. Und das, was wir beim Focus Stacking benötigen – hohe Detailwiedergabe durch hohen NA-Wert bei großem Arbeitsabstand und zugleich hervorragende Freiheit von jeglichen Abbildungsfehlern – schließt sich quasi gegenseitig aus. Ein solches Objektiv ist nur mit extrem großem Aufwand zu konstruieren.
Metallurgische Mikroskopobjektive
Zufällig finden wir in der Metallurgie-Mikroskopie ganz ähnliche Anforderungen wie im Focus Stacking mit Mikroskopobjektiven, weil dort meist nicht mit so extrem geringem Arbeitsabständen gearbeitet werden kann wie im medizinischen Labor, und die Objektive auch im Auflicht verwendet werden, im Gegensatz zum Durchlichteinsatz der meisten Labormikroskope. Darum sind metallurgische Mikroskopobjektive wie Mitutoyo M Plan Apos und einige HLB Planapos mit ihren riesigen Frontlinsen und dem gewaltig großen Arbeitsabstand für unser Focus Stacking so geeignet, erfordern bei ihren riesigen Linsen aber unbedingt eine hervorragende apochromatische Korrektur, weil sonst im Randbereich Farbfehler entstehen. Und Letzteres ist besonders dann wichtig, wenn wir mit einem großen Sensor arbeiten wollen, weil wir dann auch die äußeren Linsenanteile nutzen, die in erhöhtem Maß Abbildungsfehler produzieren können
Fazit
Wäre die Detailauflösung und damit die Höhe der numerischen Apertur nebensächlich, könnte man ein Objektiv für Focus Stacking für relativ wenig Geld mit kleinen Linsen herstellen, und der Arbeitsabstand könnte trotzdem groß sein. Solche Objektive gibt es (siehe Grafik Objektiv 2), aber sie können keine sehr feinen Details abbilden, denn sie haben eine kleine numerische Apertur und daher eine geringe Auflösung. Fokus Stacking macht mit ihnen wenig Spaß.
Wären uns Abbildungsfehler im Randbereich egal, dann wäre ein Objektiv möglich mit großen Linsen und entsprechend hoher numerischer Apertur, guter Detailauflösung und zugleich hohem Arbeitsabstand. Auch solche Objektive gibt es (siehe Grafik Objektiv 3), aber sie sind für uns nur bei einem kleinen Kamerasensor nützlich.
Wäre hingegen ein großer Arbeitsabstand entbehrlich, könnte unser Objektiv auch mit kleinen Linsen einen großen Öffnungswinkel besitzen, also einen hohen NA-Wert und gute Detailauflösung haben. Und wegen der kleinen Linsendurchmesser hätten wir vermutlich sogar ohne teure apochromatische Korrektur Bilder kaum Farbfehler, zumindest theoretisch. Solche Achromate gibt es zuhauf (siehe Grafik Objektiv 1), und auch für wenig Geld. Aber bei ihnen haben wir extreme Schwierigkeiten mit der Lichtführung.
Was genau ist nun die numerische Apertur? Vereinfachend gesagt, es ist die bauartbedingte Lichteintrittsblende. Analog zu der variablen Irisblende eines normalen Kameraobjektivs wird der Lichtdurchtritt beim Mikroskopobjektiv von einer kreisförmigen Öffnung limitiert. Daher werden beide auch mit dem Begriff „Apertur“ belegt. Im Prinzip ist die numerische Apertur eines Mikroskopobjektivs also eine Zahl, die uns eine physikalische Größe verrät, nämlich die des Lichteintritts in das Objektiv.
Ideal wäre ein vollständiger, unbegrenzter Lichteintritt in die Frontlinse, also ein Objektiv, das das gesamte Licht einfallen lässt. Es hätte eine gigantische Feindarstellung, weil um die einzelnen Bildpunkte keine Streuungsscheibchen entstünden. Ein solches Objektiv müsste einen Einfallswinkel von 180 Grad besitzen, und es hätte einen NA-Wert von 1, weil das der Sinus des halben Öffnungswinkels (90°) ist. Und der Brechungsindex von Luft ist 1, oder, wenn Sie es genauer wissen möchten, 1,00028.
Ein solches Objektiv ist allerdings technisch nicht zu verwirklichen. Darum liegt der n.A.-Wert von Mikroskopobjektiven, die in der Luft arbeiten, immer unterhalb von 1. Und über 1 hinaus kommt man nur, wenn man die Luft durch ein Flüssigmedium ersetzt, das selbst einen höheren Brechungsindex hat. Wasser liegt z. B. bei 1,33, Glycerin bei 1,47 und mikroskopisches Immersionsöl bei 1,51.
Super Artikel zum Thema NA. Ich würde meinen, es ist einer der Besten, die ich die Jahre über zu dem Thema gelesen habe. Liebe Grüße, Michael
Dies ist ein Testkommentar