Auflösungstests mit Linienpaaren pro Millimeter sind hervorragend dazu geeignet, die Detailerfassung von Objektiven zu prüfen. Doch dabei gibt es eine ganze Menge zu beachten.
Um die Auflösung von Objektiven zu messen – also ihre Fähigkeit, feinste Details wiederzugeben –, verwendet man in der Regel schwarze Linien auf weißem Grund, gelegentlich auch weiße auf schwarzem Grund. Diese Linien und die Abstände dazwischen werden immer schmaler, und die Messeinheit sind Linienpaare (jeweils eine schwarze und eine weiße Linie), die bei einer Linienbreite von einem Millimeter soeben noch als getrennt wahrnehmbar sind (lp/mm).
Auf einer solchen Messskala sieht man zahlreiche unterschiedlich breite Liniengruppen, und daneben jeweils die Zahl an Linienpaaren, die bei dieser Breite auf einen Millimeter passen würden. Einfache Tests, die meist bis etwa 250 lp/mm reichen, eignen sich nur für normale Kameraobjektive, nicht für Mikroskopobjektive, denn deren Auflösung ist weit höher. Sie werden oft angeboten, auch für moderate Preise. Alles andere als billig ist hingegen der „Auflösungstest 3000“ von Zeiss, der bis 3000 Linienpaare pro Millimeter (lp/mm) darstellt.
3000 Linienpaare pro Millimeter (lp/mm) heißt pro Linienpaar 1/3000 mm = 0,000333 mm = 0,333 µm. Das ist eine Auflösung, die für Mikroskopobjektive eher Theorie ist. Sie wäre nur mit sehr hoch vergrößernden Objektiven erreichbar, z. B. 150x und NA 0,95, doch das Glasplättchen ist 3 mm dick, so dass keine hohe Kondensorapertur möglich ist. Eine größere numerische Apertur (etwa NA 1,3) scheidet ebenfalls aus, weil dabei mit Immersionsöl gearbeitet werden müsste, was die empfindliche Beschichtung des Testglases gefährden könnte. Ein ähnlicher, der etwas weniger kostet und bis 3300 lp/mm reicht, ist von der Firma „Technologie Manufaktur“ erhältlich (www.technologie-manufaktur.de), und der ist auch mit Deckglaseinbettung erhältlich.
Es klingt fantastisch: Man muss nur ein Foto dieser Testvorlage anfertigen und kann die erreichte Auflösung quasi einfach ablesen – zumindest in der Theorie. In der Praxis ist die Sache jedoch erheblich komplexer. Zunächst eines: Was man testet, ist nicht wirklich nur die maximale Auflösung, die das Objektiv leistet. Was wir prüfen, ist die Auflösung, die wir mit der gegebenen Kombination aus Objektiv und Kamera erreichen. Wir prüfen ja nicht das Objektiv, sondern ein Foto, das Kamera und Objektiv angefertigt haben, und auch die Kamera limitiert die Qualität in vielerlei Weise. Hier kommt es bei der Kamera vor allem auf den Sensor an. Das Sensorformat ist dabei eher Nebensache, aber die Größe der Pixel ist wichtig.
Das Ablesen der Werte ist sehr subjektiv und hängt zudem von der Sehleistung ab. Auch kann das Gehirn des Ablesenden im Grenzfall die Trennung zwischen den Linien interpolieren und damit ihr Vorhandensein suggerieren, obgleich tatsächlich die benachbarten Linien miteinander verschwimmen.
Um die tatsächliche Schärfeleistung eines Objektivs zu beurteilen, muss im Zentrum und am Rand des Bildfelds gemessen werden, denn nur beide Messungen gemeinsam vermitteln einen Eindruck von der Schärfeleistung. Liegt eine Bildfeldwölbung vor, stellt dies normalerweise ein Problem dar, weil nicht gleichzeitig im Zentrum und am Rand scharf fokussiert wird. Im Focus Stacking ist das allerdings unproblematisch, weil über eine Bildserie mit verschobener Fokusebene diese Wölbung neutralisiert wird, was ja auch beim Einsatz in der Focus-Stacking-Fotografie praktiziert wird.
Allerdings bietet die alleinige Messung im Zentrum nur einen groben Anhalt zur Beurteilung. Manche Mikroskopobjektive sind so sehr auf eine hohe Abbildungsschärfe im Bildzentrum optimiert, dass der Rand des Bildkreises stark an Schärfe verliert. In der herkömmlichen Mikroskopie ist das oft vernachlässigbar, weil vielfach nur das Bildzentrum betrachtet wird. Verwenden wir ein solches Objektiv jedoch für die Fotografie, unter Umständen sogar mit einem Vollformatsensor, so ergibt sich eine hohe Abbildungsschärfe im Zentrum und ein gewaltiger Schärfeverlust im Randbereich. Hier handelt es sich aber nicht um ein schlechtes Objektiv, sondern nur um eine unpassende Kombination aus Objektiv und Sensorgröße.
Mehr Pixel als Linien
Um ein Linienpaar auf dem Sensor darzustellen, sind im absoluten Minimum zwei Pixel nötig. Tatsächlich mehr, denn mit zwei Pixeln würde es nur dann funktionieren, wenn Linien und Pixel absolut deckungsgleich wären, was unrealistisch ist. Also handelt es sich hier eher um einen theoretischen Wert – aber nehmen wir das der Einfachheit halber einmal als gegeben an, um die physikalischen Zusammenhänge verständlich zu machen.
Auf einem Vollformatsensor bilden wir 36 Millimeter Bildbreite ab. Bei 100 lp/mm, die 1:1 dargestellt werden sollen, wären dies also theoretisch 3.600 Paare vertikaler Linien auf der gesamten Sensorbreite. Dafür brauchten wir also theoretisch im absoluten Minimum 7.200 Pixel (3.600 x 2). Eine Canon-Vollformatkamera R5II hat 45 Megapixel, im Detail 8192 x 5464 Pixel. Mit gut 8000 Pixeln in der Bildbreite auf 36 Millimeter hätten wir nach dieser (unrealistisch vereinfachten!) Rechnung also gerade eben ausreichend Pixel, um die 3600 Linienpaare darzustellen. Doch schon bei 120 lp/mm wäre der Sensor überfordert, denn die 4320 Linienpaare erforderten nach unserer Annahme 8640 Pixel.
Auch die Größe der Pixel ist in diesem Fall eminent wichtig, denn wenn es sich z. B. um einen Vollformatsensor handelt, der 20 Megapixel aufweist, sind die Chancen, eine extrem dünne Linie scharf wiederzugeben, ungleich schlechter als bei 50 Megapixel: Sobald ein einzelner Pixel breiter ist als eine Linie, ist die Auflösung des Objektivs der des Sensors überlegen.
Tatsächlich brauchen wir, um zwei Linien sauber als getrennt darzustellen, deutlich mehr als zwei Pixel. Hier wird klar, dass die verwendete Kamera bzw. ihre Pixelgröße und deren Anzahl erheblichen Einfluss auf die Präzision Liniendarstellung und damit der Messung haben. Und zugleich wird verständlich, dass eine optische Vergrößerungsleistung des Objektivs uns hier in die Hände spielt, weil wir zum Ablesen entsprechend weniger hochskalieren müssen. Darum darf das abgelesene Ergebnis eines solche Auflösungstests vor allem bei gering vergrößernden Optiken immer nur als ungefährer Richtwert verstanden werden.
Entscheidend ist beim Ablesen, dass der Raum zwischen zwei schwarzen Linien tatsächlich hell ist, und zwar mit einer durchgehenden Trennung der Schwarzlinien. Auch muss die Farbe dieses Zwischenraums vom Schwarz der Linien deutlich unterscheidbar sein. Im Grenzfall wird sie als Grau wahrgenommen, und genau hier beginnt das individuelle Urteil des Betrachters – der eine interpretiert einen bestimmten Linienblock noch als getrennte Linien, der andere möglicherweise nicht.
Verpixelte Linienpaare
Besonders große Schwierigkeiten beim Ablesen hat man darum bei gering vergrößernden Objektiven mit hoher Detailerfassung (Makroobjektive), denn sie stoßen in Bereiche vor, deren Linienpaargruppen sehr klein sind, so dass diese zum Ablesen stark vergrößert werden müssen. Stellen Sie sich ein Objektiv vor, das 1:1 abbildet, also nicht vergrößert, und daneben eines mit einem Abbildungsmaßstab von 10:1, das also zehnmal vergrößert darstellt. Beide fokussieren nun diejenige Liniengruppe, die sie gerade noch getrennt darstellen können. Das 10:1-Objektiv vergrößert sie auf das Zehnfache, was sie leichter ablesbar macht. Das 1:1-Objektiv hingegen vergrößert sie gar nicht, so dass sie im Foto stärker hochskaliert werden müssen, und dabei zeigt sich möglicherweise, dass die Sensorauflösung schon nicht mehr ausreicht, um für jedes Linienpaar die nötige Mindestzahl an Pixeln bereitzustellen. Die Linienpaare des 10:1-Objektivs hingegen wurden jeweils von weit mehr Pixeln dargestellt und sind präziser abgebildet.
Maßstäbe von 1:1 bis etwa 2:1 sind am schwierigsten, denn wenn man die betreffende Ablesezone im Foto ausreichen hochskaliert, wird man die Linienpaare auch bei einer hochauflösenden Kamera (hier Canon R5II mit 45 Megapixel) schon deutlich verpixelt wahrnehmen, was den Ablesevorgang dramatisch erschwert, bisweilen sogar unmöglich macht. Bei diesen Abbildungsmaßstäben sind die abgelesenen Werte darum also mit ganz besonders viel Vorsicht zu behandeln; die tatsächliche Auflösung des betreffenden Objektivs kann deutlich höher liegen, denn die feineren Linienpaare sind möglicherweise verpixelt.
Je weniger die Gruppen von Linienpaaren im Testfoto zum Ablesen hochskaliert werden müssen, um so mehr Pixel werden für eine einzelne Line genutzt, und im gleichen Maß sind diese Linien also präziser dargestellt, darum also besser zu erkennen. Bei Mikroskopobjektiven mit Abbildungsmaßstäben von 10x bis 50x hat man hier weit weniger Schwierigkeiten, das Ergebnis präzise abzulesen, denn je stärker das Objektiv verlustfrei optisch vergrößert, um so dünnere Linienpaare können wiedergegeben werden. Tatsächlich vergleichen können wir also immer nur Objektive mit dem gleichen Abbildungsmaßstab.
Beleuchtung und Fokussierung
Hinzu kommen weitere Faktoren, z. B. eine nicht optimale Beleuchtung, eine suboptimale Fokussierung und auch die Tatsache, dass der Ablesevorgang selbst im Grenzfall Ermessenssache ist, denn eine bestimmte Darstellung feinster Linien kann von zwei Personen unterschiedlich beurteilt werden.
Auch andere Dinge müssen berücksichtigt werden, z. B. die Wellenlänge des verwendeten Lichts, denn sie beeinflusst das Auflösungsvermögen des Objektivs. Das menschliche Auge empfindet grüngelbe Strahlung am hellsten, und darum sind Objektive normalerweise auf diese Wellenlängen hin auskorrigiert, bringen hier also ihre beste Leistung – von Spezialoptiken für andere Wellenlängen einmal abgesehen. Weicht jedoch die Beleuchtung unseres Auflösungstests von dieser Wellenlänge wesentlich ab, kann auch die Schärfeleistung der Linsen anders sein. Kurzwelliges Licht (Blaustrahlung) ermöglicht eine höhere Auflösungsleistung als längere Wellenlängen. In den Tests für diese Webseite allerdings wurde trotzdem mit Tageslichtfarbe von 5600 Kelvin gearbeitet, weil anzunehmen ist, dass auch in der Focus-Stacking-Fotografie mit Blitz oder LEDs ähnliches Licht verwendet werden wird.
Zur Beleuchtung wird bei Auflösungstests mit Glasplättchen diffuses Gegenlicht empfohlen. Richten Sie dazu aber nicht eine Lampe direkt in das Objektiv, sondern die großflächige Reflexion des Lichts, z. B. über ein Blatt weißes Papier, das im 45-Grad-Winkel zur Sensorebene steht.
Die Kameraauflösung
Ich selbst arbeite bei den Auflösungstests, die ich für diese Webseite durchführe, stets mit einer hochauflösenden Kamera (Canon R5II mit 45 MPix). Um eine bestmögliche Fokussierung sicherzustellen, fertige ich jeweils eine Fokusserie an, von der ich anschließend dasjenige Einzelbild auswähle, bei dem die kleinsten noch als getrennt wahrnehmbaren Linienpaargruppen am schärfsten fokussiert waren.
Zwar darf man, wie erwähnt, diese Ergebnisse generell nur als groben Anhalt sehen, doch wenn sie alle mit der gleichen Kamera unter identischen Aufnahmebedingungen angefertigt wurden, geben sie zumindest eine Richtgröße zur relativen Beurteilung der Auflösung – abgesehen von der erwähnten Einschränkung bei 1:1 und 2:1. Selbst wenn die absoluten Messwerte in Form erkennbarer Linienpaare pro Millimeter dann nicht einer Überprüfung mit präziser Labormessung standhalten sollten, erlaubten sie doch den Vergleich zwischen unterschiedlichen Objektiven desselben Abbildungsmaßstabs.
Auch bieten solche Messungen Einblick in das optische Verhalten eines bestimmten Objektivs bei unterschiedlichen Abbildungsmaßstäben. So lässt sich z. B. ermitteln, wie weit die Auflösung eines Mitutoyo M Plan Apo 10x sinkt, wenn man es nicht mit der Tubuslinsenbrennweite von 200 mm nutzt, die zum Erreichen der Nominalvergrößerung 10x erforderlich ist, sondern stattdessen eine geringere Brennweite einsetzt (z. B. Raynox DCR 250 statt DCR150). Damit verlässt das Objektiv seinen optimalen Arbeitsbereich und liefert einen geringeren Abbildungsmaßstab, und man kann ermitteln, wie sich die Auflösung dann im Vergleich zu anderen Objektiven verhält, die für genau diesen Abbildungsmaßstab konzipiert wurden.
Oder man testet die Auflösungsleistung eines Filmscannerobjektivs bei verschiedenen Abbildungsmaßstäben, die es mit unterschiedlichem Kameraauszug (Distanz zwischen Sensor und Objektiv) liefert, z. B. 1:1, 1,5:1 oder 2:1.
Linienpaare pro Bildhöhe
Aber, Achtung: Verwechseln Sie diese Messwerte nicht mit Angaben, die üblicherweise bei Tests normaler Kameraobjektive gemacht werden, denn die absoluten Zahlenwerte sind dabei erheblich höher und liegen meist ungefähr zwischen 1500 und 2500 Linienpaaren. Das liegt daran, dass man dabei üblicherweise die Linienpaare pro Bildhöhe angibt (lp/Bh). Ein Vollformatsensor erzeugt eine Bildgröße von 24 x 36 mm. Also wird der abgelesene Wert für die noch darstellbaren Linienpaare pro Millimeter mit 24 multipliziert. 2500 lp/Bh entsprechen also 104 Linienpaaren pro Millimeter.
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