Wie erzeugen die Insekten, die wir fotografieren, die extreme Vielfarbigkeit ihrer Körperoberfläche, die uns so fasziniert? Und warum tun sie das? Im Gegensatz zu den übrigen Beiträgen in diesem Blog befasst sich der vorliegende nicht mit fotografischen Techniken, Vorrichtungen oder Arbeitsweisen, sondern mit dem, was die meisten von uns an den lebenden Bildmotiven so begeistert: die Farbigkeit.
Im Tierreich finden wir viele unterschiedliche Farben. die meisten entstehen zweifellos durch Pigmente. Doch die Evolution nutzt einen genialen physikalischen Trick, um Farbeffekte auch ohne Pigmente zu erzeugen. Bei Schmetterlingen finden wir neben Pigmentfarben (z. B. Pterine, Ommatine oder Papiliochrome und andere) auch farbige Flächen, die durch das entstehen, was man als Strukturfarben bezeichnet, oder als physikalische Farben. Auch bei anderen Tiergruppen setzt die Natur diese visuellen Farbeffekte ein, z. B. bei den Körperschuppen von extrem farbigen Käfern wie z. B. Eupholus- oder Pachyrhinchus-Arten (beide Familie Curculionidae) oder den extrem bunten Goldwespen (Familie Chrysididae), aber auch bei Vögeln (z. B. Pfau, Kolobri). Diese Flächen sind nicht wirklich farbig, sie haben keine Pigmente, obgleich uns das so erscheint. Es sind Farben, die durch Lichtstreuung zustande kommen, prinzipiell ähnlich einem Prisma.
Fast immer handelt es sich z. B. bei Blau um eine solche Strukturfarbe, die nicht durch Pigmente entsteht, sondern durch physikalische Effekte, denn blaue Farbpigmente sind in der unbelebten Natur extrem selten und offensichtlich auch für einen lebenden Organismus schwierig zu erzeugen.
So gesehen sind die Farben, die wir auf einem Schmetterlingsflügel sehen, nicht wirklich vorhanden, sie sind gewissermaßen eine Illusion, die auf einer physikalischen Lichterscheinung beruht. Das klingt zunächst schwer nachvollziehbar, aber wenn Sie einen Regenbogen betrachten, wird das Phänomen deutlich, bei einem dünnen Ölfilm auf Wasser, den Sie im Licht betrachten, oder bei der Oberfläche einer Seifenblase. Hier erkennen Sie Streifen in unterschiedlichen Farben, die an einen Regenbogen erinnern. Und auch das sind Farben, die nicht als Farbpigmente vorhanden sind.
Das entscheidende Wort heißt Interferenz. Darunter versteht man das gegenseitige Beeinflussen von Wellen, die sich überlagern und dadurch entweder auslöschen (destruktive Interferenz) oder verstärken (konstruktive Interferenz). Bei Schallwellen kennen wir das z. B. von Kopfhörern mit „noise cancelling“, die Schallwellen aus der Umgebung mit destruktiver Interferenz neutralisieren.
Konstruktive und destruktive Interferenz
Es funktioniert aber ebenso bei Lichtwellen, und auch hier haben wir es mit konstruktiver und mit destruktiver Interferenz zu tun. Was passiert dabei? Das farblose Tageslicht besteht aus zahlreichen Strahlungen unterschiedlicher Wellenlänge und Lichtfarben.
Betrachten wir zunächst unsere normale Farbwahrnehmung: Ein Farbpigment auf der Oberfläche eines beliebigen Gegenstands erscheint uns dadurch farbig, dass es einen einzelnen Spektralanteil des Lichts mit einer bestimmten Farbwirkung zu unserem Auge reflektiert und all die anderen Farbanteile absorbiert, also schluckt.
Interferenz hingegen kommt dadurch zustande, dass Tageslicht durch optisch wirksame Strukturen (wie z. B. ein Prisma) gestreut und in seine einzelnen Spektralfarben zerlegt wird, die sich dann gegenseitig beeinflussen.
Hautflügel der Insekten
Die physikalischen Mechanismen, die hier wirken, sind etwas unterschiedlich. Betrachten wir den Flügel einer Drosophila-Fruchtfliege. Er ist transparent, und das eindringende Mischlicht wird in seinem Innern gestreut, so dass die einzelnen Farbanteile voneinander getrennt sind. An der oberen Grenzfläche dieses Flügelmaterials (Lichteintritt) kommt es zu einer Lichtreflexion, und an der unteren Grenzfläche (Lichtaustritt) zu einer zweiten. Die einzelnen Spektralanteile dieser beiden Reflexionen interferieren nun miteinander: Bestimmte Anteile werden richtungsabhängig ausgelöscht und verschwinden, so dass nur ihre Komplementärfarben übrig bleiben. Auf diese Weise wird aus dem farblos erscheinenden Mischlicht eine Strahlung bestimmter Farbe, die wir aber auch nur aus einer bestimmten Blickrichtung maximal wahrnehmen können, genauer gesagt, in einem bestimmten Winkel zwischen Strahlungs- und Betrachtungsrichtung.
Dieses Phänomen finden wir beim Drosophila-Flügel ebenso wie bei den Flügeln vieler anderer Insekten, z. B. Mücken oder Fliegen. Entscheidend ist, dass ihr Material für den lichtphysikalischen Effekt nicht zu dick und auch nicht zu dünn ist, denn die Entfernung zwischen der oberen und der unteren Grenzschicht dieses Flügels muss genau so sein, dass sie der Kohärenzlänge der Strahlungsanteile entspricht. Auch bei der erwähnten dünnen Ölschicht auf Wasser ist das so, oder bei der Seifenblase mit Farbstreifen.
Aber auch ohne die Transparenz von Insektenflügel oder Ölschicht kann Interferenz entstehen. Beispiele dafür sind die Flügelschuppen der Schmetterlinge, die Flügel vieler Käfer, deren irisierendes Grün oder Blau wir nur aus einer bestimmten Betrachtungsrichtung wahrnehmen, oder die Mantellappen von Riesenmuscheln der Gattung Tridacna, die in tropischen Korallenriffen leben.
Opaleszenz
Selbst bei unbelebten Materialien tritt dieses Phänomen auf, z. B. beim Edelstein Opal. Darum bezeichnet man es auch als Opaleszenz. Der physikalische Wirkmechanismus ist ähnlich: Das eindringende Mischlicht wird an winzigen Nanostrukturen des Materials, die quasi wie Spiegel wirken, gestreut, und diese Strahlungsanteile beeinflussen sich gegenseitig, durch konstruktive oder destruktive Interferenz. Dabei begegnen sich zwei Strahlungswellen, und wenn sie die gleiche Auslenkung (Amplitude) und die gleiche Frequenz (Wiederholungsabstand) haben, dann überlagern sie sich, was ihre Auslenkung addiert (konstruktive Interferenz) oder auslöscht (destruktive Interferenz). Dadurch verändert sich die Farbwirkung des Lichts, und es entstehen jene Farbphänomene, die wir z. B. am Schmetterlingsflügel wahrnehmen. Auch sie sind sehr abhängig von der Blickrichtung bzw. der Strahlungsrichtung des Lichts.
Bei vielen dieser Materialien, die im Tierreich über Interferenz Farbeffekte erzeugen, handelt es sich um Gitterstrukturen, die im Innern Hohlräume aufweisen, z. B. den Flügelschuppen von Schmetterlingen. Diese Gitterstruktur spart nicht nur Material, sondern macht sie auch extrem leicht, was vor allem beim Fliegen wichtig ist. Auch die Körperschuppen vieler Käfer besitzen eine solche Gitterstruktur, und viele von ihnen bestehen aus zahlreichen Einzelelementen mit unterschiedlicher Interferenzwirkung, was zu verschiedenen Farbeffekten führt.
Warum diese Farben?
Doch aus welchem Grund investieren Tierarten so viel in das Erzeugen von Strukturen, die sie farbig aussehen lassen? Und warum erschafft die Evolution so unglaublich geniale physikalische Wirkmechanismen? Fast scheint es so als wetteiferten diese vielfarbigen Tiere miteinander. Und tatsächlich spielt Konkurrenz dabei auch eine Rolle. Aber es geht nicht um Schönheit, zumindest in den meisten Fällen nicht. Bei bestimmten Vogelarten, deren Männchen um die Gunst eines Weibchens werben, kann die Ästhetik dieser Farbelemente durchaus wichtig sein. Doch in den meisten Fällen ist der Nutzen für die Tiere ein völlig anderer.
Es gibt sicher viele unterschiedliche Gründe für die Farbigkeit von Tieren, und wir Menschen kennen vermutlich nur wenige davon. Einer ist jedoch das Sehen, das Gesehenwerden und das Nichtgesehenwerden. Mimese ist eine der Erklärungen, die Anpassung an einen unbelebten Untergrund. Wenn ich meine Körperform auflöse, bin ich für einen Räuber schwerer zu erkennen, und wer das am besten tut, lebt am längsten und hat auch die meisten Nachkommen. Insofern wird die Selektion von Fressfeinden ausgeführt.
Wer sich z. B. oft auf der Blüte einer bestimmten Pflanze aufhält, lebt länger, wenn sein Körper ähnliche Farben bzw. Farbkombinationen hat wie die Blüte selbst. Das funktioniert sogar bei Nacktkiemerschnecken im Korallenriff, die auf bestimmten Schwämmen fressen und deren Farben angenommen haben. Auch hier ist die Fressfeindselektion die treibende Kraft der Evolution.
Warnungen an mögliche Fressfeinde sind ebenfalls ein Grund für Farbphänomene, die das Leben verlängern können: „Vorsicht, ich bin giftig!“ Auch Trittbrettfahrer nutzen die Wirksamkeit dieses Farb-Warnmechanismus, z, B. die harmlosen Schwebfliegen, die mit ihrer Streifenzeichnung Giftigkeit und Wehrhaftigkeit vortäuschen. Dieses Phänomen heißt Mimikry. Doch die winzigen Raubspinnen, die in Blüten auf genau diese Schwebfliegen lauern, wissen das. Und die Schwebfliegen wissen, dass sie die Spinnen nicht täuschen können, und darum betrachten sie jede Blüte vor dem Eintritt im Schwebflug aus allen Richtungen, um sicher zu stellen, dass darin keine der Spinnen lauert.
Und selbst diese kleinen Raubspinnen profitieren von der Schutzwirkung einer Körperfärbung – denken Sie an die Veränderliche Krabbenspine (Misumena vatia), die ihre Farbe derjenigen Blüte anpassen kann, in der sie wohnt.
Täuschung ist ein weiterer Vorteil von Farbeffekten. Erzeuge ich auf meinem Körper Farbelemente, die bestimmte Strukturen nachahmen, kann ich meine Fressfeinde täuschen. Scheinaugen, auch Augenflecke genannt, auf den Flügeln von Schmetterlingen gehören dazu, denn sie signalisieren meinem Fressfeind, dass ich ihn mit wachen Augen beobachte und ihn längst entdeckt habe, so dass sein Angriff nicht mehr lohnt, sondern reine Energieverschwendung wäre. Auch können Scheinaugen am hinteren Körperende über die zu erwartende Fluchtrichtung täuschen.
Diese artabhängige Färbung kann mir als Tier aber auch bei der Partnerfindung helfen. Dabei ist ja wichtig, dass ich einen Partner der selben Spezies finde, weil nur dann die Fortpflanzung funktioniert.
Diese beiden Phänomene Mimese und erleichterte Partnerfindung erklären z. B. die zahlreichen Färbungsvarianten bei eng verwandten Käferarten (z. B. Gattungen Eupholus oder Pachyrrhynchus), aber auch bei Schmetterlingen, bei Vögeln oder bei Falterfischen im Korallenriff.
Einerseits lösen die Farbstrukturen die Körperumrisse so auf, dass die Tiere für Beutegreifer schwer zu erkennen sind. Die Richtungsabhängigkeit des Farbphänomens Opaleszenz unterstützt das noch, weil bei veränderter Blickrichtung Insekt, Vogel oder Riesenmuschel plötzlich aus dem Blick verschwunden sind.
Und andererseits ermöglichen die artabhängigen Farbmusterungen, zu erkennen, wenn man einen Artgenossen vor sich hat, bei dem es sich lohnt, entweder das Revier gegen einen Rivalen zu verteidigen, um seine Nahrungsgrundlage zu sichern, oder um Partnerschaft zu werben, um die Art durch Fortpflanzung zu erhalten.
Dass wie Menschen an der Farbigkeit dieser Tiere Freude haben und sie als ästhetischen Genuss empfinden, ist ein ungewollter Nebeneffekt, ähnlich wir bei der Farbigkeit der Blumen. Nehmen Sie es einfach als Geschenk der Natur und freuen Sie sich darüber, dass es eine großartige Gelegenheit ist, die Natur und ihre Geheimnisse zu entdecken, mit den fototechnischen Möglichkeiten unserer Zeit.
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Daniel Knop, www.knop.de
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