Bernstein enthält oft Insekten, die seit Jahrmillionen eingeschlossen, aber perfekt erhalten sind. Focus Stacking mit Mikroskopobjektiven ist ideal, um sie wieder zum Leben zu erwecken – zumindest virtuell.
Ja, ich gebe zu, ich bin ein Evoluzzer. Mich fasziniert seit jeher die Evolution, und zwar wirklich ungemein. Seit ich zurückdenken kann, begeistert mich das Miteinander unterschiedlichster Lebensformen, die sich aneinander anpassen, die miteinander und auch voneinander leben. Im Korallenriff, im Wald, auf der Wiese, im Garten und eigentlich überall.
Entwicklungsgeschichtliche Veränderungen sind allgegenwärtig. Dinosaurier werden zu Flugsauriern und erobern mit der Luft ein neues Element, um zu überleben. Flugsaurier werden zu Vögeln, die jede erdenkliche ökologische Nische besetzen, Vögel werden schließlich zu Pinguinen und erobern mit dem Meerwasser wieder ein neues Element, um zu überleben. Anpassung immer und überall. Pilze interagieren mit Bäumen, Bienen mit Blumen, Ameisen mit Blattläusen, Darmbakterien mit Menschen – die Liste wäre endlos. Diese radikalen und genial ideenreichen Anpassungen ziehen sich durch die gesamte Evolution und haben letztlich auch uns Menschen hervorgebracht.
Mikrofotografie mit Focus Stacking als Zeitmaschine?
Mit dem Fotografieren der Bernstein-Inklusen – also der winzigen Insekten oder Pflanzenteile, die zu Lebzeiten vom Baumharz eingeschlossen und darin perfekt konserviert wurden – werfen wir einen Blick in vergangene Zeiten, lange bevor es Australopithecus und ältere Vorläuferformen von uns Menschen gab. Im Bernstein eingeschlossene Insekten sind quasi entwicklungsgeschichtliche Dokumente aus dem Logbuch der Evolution!
Und nach unzähligen Menschengenerationen haben wir – Sie und ich – heute als erste Homo sapiens der Menschheitsgeschichte im Wohnzimmer oder Hobbykeller eine Technologie, um diese zig Millionen Jahre alten Zeugen der Evolution fotografisch bis ins winzigste Detail zu dokumentieren!
Zwanzig, vierzig oder sogar hundert Millionen Jahre alt sind die eingeschlossenen Insekten und besser erhalten als jede Mumie. Mitten aus dem Leben gerissen, als sie ein ein zähflüssiges Baumharztröpfchen berührten, sich zappelnd immer weiter in die klebrige Masse schleusten und rettungslos gefangen waren. Ganze Erdzeitalter haben sie überdauert, perfekt konserviert, und wir können nun mit Hilfe unserer Mikroskopobjektive und der noch jungen Focus-Stacking-Technik die Zeitreise in die Vergangenheit antreten.
Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei Alexander Beigel, der mich für ein Focus-Stacking-Workshop aufsuchte und mir dabei seine inzwischen mehr als zwei Jahrzehnte lange Leidenschaft nahe brachte: Mikrofotos von Bernstein-Inklusen anzufertigen. Diese Aufnahmetechnik ist dafür letztlich wie geschaffen, und er lieh mir auch Bernsteine für meine ersten Gehversuche, bei denen ich auch seinen Rat umsetzte, sie unter Wasser zu fotografieren.
Allerdings modifizierte ich sein vertikales Vorgehen, bei dem er eine wassergefüllte Schale einsetzt, um den Bernstein von oben her durch die Wasseroberfläche aufzunehmen, und setzte es horizontal um. Dabei kam es mir unter anderem darauf an, die optisch verzerrenden Effekte der Wasseroberfläche zu vermeiden, die bei jeder winzigen Erschütterung sichtbar werden.
Warum unter Wasser fotografieren?
Freilich können Sie ein Insekt, das im Bernstein eingeschlossen ist, auch trocken fotografieren, also ohne Wasser. Allerdings sind Sie dann mit einem wechselnden Lichtbrechungsindex konfrontiert, und zwar auf einer unregelmäßigen Oberfläche. Die Dichte des Bernsteins ist eine andere als die der Luft zwischen Bernstein und Objektivlinse. Das bedeutet, dass die Lichtbrechung vor dem Bernstein und in seinem Innern unterschiedlich sind. Zudem würden Sie an der auf Hochglanz polierten, meist konvexen Oberfläche des Bernsteins vermutlich mit Reflexionen kämpfen. Und zu allem Überfluss würden winzigste Mikrokratzer in seiner Oberfläche sichtbar.
Wasser hat einen recht ähnlichen Lichtbrechungsindex wie Bernstein. Befindet sich der Bernstein unter Wasser, dann bildet er mit der Flüssigkeit lichtphysikalisch quasi eine Einheit, und der Wechsel des Lichtbrechungsindex findet an einer Planebene statt, die parallel zu den Objektivlinsen bzw. dem Kamerasensor liegt. Bei vertikalem Vorgehen ist es die Wasseroberfläche, bei meiner horizontalen Arbeitsweise die Glasscheibe. Auf diese Weise vermeiden Sie jede Lichtreflexion an der Bernsteinoberfläche, und auch Mikrokratzer sind praktisch unsichtbar, weil die winzigen Vertiefungen, die sie verursachen, mit Wasser gefüllt sind.
Was dann folgt, ist die scheibchenweise Aufnahme mit verschobener Schärfenebene, die Sie bei Focus-Stacking-Mikroaufnahmen ohnehin gewohnt sind.
Die Aufnahmetechnik
Fotografie von Bernstein-Inklusen können Sie, wie erwähnt, sowohl vertikal als auch horizontal durchführen. Ich selbst arbeite lieber horizontal, nur bei der Schneeflockenfotografie (die auch einmal Gegenstand eines Blogbeitrags sein wird), bevorzuge ich die vertikale Arbeitsweise.
Zugegeben, Aufnahmen in einem Flüssigmedium wie Wasser sind an sich vertikal einfacher, weil man mit einer Schale arbeiten und durch die Wasseroberfläche fotografieren kann. Doch mich stören dabei, die optisch verzerrenden Einflüsse der Wasseroberfläche. Zudem muss beim vertikalen Arbeiten nach jeder Auslösung abgewartet werden, bis die bewegte Wasseroberfläche sich wieder beruhigt hat, zumindest, wenn man mit einem mechanischen Verschluss arbeitet, der ja Material bewegt und Erschütterungen verursacht.
Inversmikroskop
Eine Alternative wäre theoretisch ein Inversmikroskop, denn das wurde ja speziell für Aufnahmen in Flüssigmedien entwickelt, z. B. in der Krebsforschung. Man stellt eine Schale mit kratzerfreiem Glasboden auf den Objekttisch, gefüllt mit Wasser, in dem sich der Bernstein befindet.
Der Vorschub der Schärfenebene von Aufnahme zu Aufnahme erfolgt hierbei entweder manuell am Feintrieb oder durch eine angeschlossene Motoreinheit, die mit einem Steuergerät verbunden ist, etwas, das die Fotografie mit jedem Lichtmikroskop enorm optimieren kann (auch dieses Thema möchte ich gelegentlich in einem separaten Blogbeitrag behandeln).
Horizontale Aufnahmen
Meine bevorzugte Variante ist jedoch die horizontal erfolgende Aufnahme. Dafür muss ich allerdings einen speziellen Glasbehälter einsetzen, der einer Art Miniaquarium ähnelt. Er erlaubt mir, die Bernsteine unter Wasser in einer bestimmten Stellung zu fixieren und durch eine sehr dünne Glasscheibe hindurch aufzunehmen.
Praktischerweise ermöglicht mir dieses Miniaquarium sogar, mehrere Bernsteine bzw. Inklusen in einem Arbeitsgang abzuarbeiten, sofern sie sich nebeneinender hinter der gleichen oder sogar hinter unterschiedlichen Scheiben befinden. In letzterem Fall wird das Becken dann einfach gedreht.
Auch das Befestigen der Bernsteine ist recht einfach. Ich verwende dazu Nano Tape, ein beidseitig klebendes Band, das sehr preiswert auf Rollen erhältlich ist, in unterschiedlichen Breiten, und bei dem eine einmal im Trockenen hergestellte Verklebung auch unter Wasser ihre Haftkraft nicht verliert. Ein schmales Stück wird direkt vor einer der Seitenscheiben auf die Bodenscheibe geklebt, um den Bernstein in der gewünschten Stellung aufzusetzen. Dann das Becken mit Wasser füllen und eventuell winzige Gasbläschen, die sich bilden, mit einer Pipette wegblasen.
Das Becken selbst kann man vermutlich nirgendwo kaufen, aber ich fertige mir dieses Hilfsmittel sehr einfach aus den Glasscheiben von Mittelformat-Diarahmen, die einfach wie im Aquarienbau üblich mit Silikon verklebt werden.
Der Diffusor
Viele Bernsteine weisen im Innern Spannungsrisse auf, die eine flächige Lichtbrechung erzeugen. Sie entstehen durch Druckeinwirkung auf das erstarrte Bernsteinmaterial. Das gilt vor allem für terrestrische Bernsteine, die im Erdreich gefunden werden und durch Bodenbewegungen physikalischen Kräften ausgesetzt waren.
Solche Spannungsrisse erzeugen im Foto eine flächige Aufhellung, die oft auch Interferenzfarben aufweist. (Wie die entstehen, ist hier zu lesen.) Das ist sicher ein faszinierendes Phänomen, wenn man sich darauf konzentriert, aber hier geht es ja um die eingeschlossenen Insekten, und da stören solche Effekte. Das lässt sich weitgehend vermeiden, wenn Sie einen guten Lichtdiffusor einsetzen.
Je stärker Ihr Lichtstrahl konzentriert ist, um so deutlicher zeigen sich auch die unerwünschten Lichtbrechungseffekte. Folglich müssen Sie versuchen, Ihr Licht so gut wie möglich zu streuen, dann sind die Effekte meist verschwunden. Sind noch Reste zu sehen, hilft es oft, den Bernstein etwas zu drehen, damit die Lichtspiegelung für die Objektivlinse nicht mehr zu sehen ist. Hierzu müssen Sie nur das winzige Glasbecken etwas drehen, und wenn Sie mit einem separaten Monitor im Live-View-Modus arbeiten (was ich ausnahmslos tue), dann sehen Sie den Effekt sofort, noch vor der ersten Aufnahme.
Welche Abbildungsmaßstäbe?
Focus-Stacking-Aufnahmen von Bernstein-Inklusen erfordern in der Regel etwas mehr, als ein Makroobjektiv leisten kann. Wenn Sie wirklich Details erkennen wollen, reicht ein Abbildungsmaßstab von 1:1 für ein drei oder vier Millimeter großes Insekt nicht aus. Das deckt bestenfalls größere Tiere ab wie einen Käfer, der auch im Bernstein durchaus einmal 15, 20 und mehr Millimeter messen kann. Die weitaus meisten Insekten im fossilen Baumharz sind jedoch erheblich kleiner, vor allem wohl deshalb, weil gerade sie nicht die Kraft hatten, einen harzbenetzten Körperteil von der klebrigen Masse abzuziehen oder vielleicht sogar von einem Windstoß ins Verderben geblasen wurden. Körperlängen zwischen 2 und 4 Millimetern sind sehr oft anzutreffen, und mitunter sind die Tiereinschlüsse auch kleiner.
Ich arbeite meist mit einem Mitutoyo M Plan Apo 5x oder 10x, je nach Größe der Einschlüsse. Stärkere vergrößernde Fotos waren bei mir stets problematisch, weil solche Detailaufnahmen bei zunehmendem Abbildungsmaßstab (20x, 50x) deutliche Trübungen aufwiesen, die enorm qualitätsmindernd waren, selbst in Bernsteinmaterial, das zwar honigfarben, aber völlig klar wirkte. Möglicherweise ist das bei anderen Bernsteinsorten anders, und auch bei veränderter Beleuchtung, denn man darf nicht übersehen, dass Bernstein unter Einfluss von UV-Strahlung Fluoreszenz entwickelt, was als deutliche Materialtrübung zu sehen ist. Probieren Sie es einfach.
Was ist eigentlich Bernstein?
Bei Bernstein handelt es sich um fossiles Baumharz, das Bäume in früheren Erdzeitaltern bei Verletzungen freigesetzt haben. Je nach geografischer Herkunft lässt sich das Alter recht genau schätzen, weil man heute weiß, wann und wo früher größere Waldbestände existiert haben.
– Baltischer Bernstein ist in Anrainerstaaten der Ostsee zu finden (Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Polen). Es stammt von Wäldern der skandinavischen Halbinsel, und sein Alter wird auf 36 bis 54 Millionen Jahre geschätzt (Erdzeitalter Eozän).
– Bitterfelder Bernstein, der durch den Braunkohlentagebau freigelegt und später auch gezielt abgebaut wurde, stammt von Wäldern, die im Erdzeitalter Miozän westlich von der heutigen Stadt Leipzig wuchsen. Sein Alter schätzt man auf rund 20 Millionen Jahre, und auch in diesem Material findet sich eine besonders große Artenvielfalt von tierischen Einschlüssen.
– Burmesischer Bernstein bzw. Bernstein aus Myanmar zählt mit 100 Millionen Jahren zu den besonders alten, denn sein Ursprung liegt in der Kreidezeit. Diese Steine enthalten neben Insekteneinschlüssen sogar manchmal auch kleine Wirbeltiere wie Eidechsen.
– Chinesischer Bernstein stammt aus unterschiedlichen geologischen Epochen. In der heutigen Provinz Liaoning entstand er z. B. vor 50 bis 53 Millionen Jahren, in der Provinz Yunnan hingegen erheblich später, vor 15 bis 20 Millionen Jahren.
– Dominikanischer Bernstein hat ein Alter von 15 bis 20 Millionen Jahren (Erdzeitalter Miozän) und ist oft klarer und einschlussreicher als andere Bernsteinarten.
– Mexikanischer Bernstein stammt vor allem aus der Region Chiapas. Er hat ein Alter von 22 bis 30 Millionen Jahren (Erdzeitalter Miozän) und ist vor allem für seine Klarheit bekannt, die für fotografische Arbeiten sehr vorteilhaft ist. Eingeschlossen sind viele Insekten und Pflanzenteile.
Wie erkennen Sie echten Bernstein?
Wenn Sie online Bernstein mit Inklusen kaufen, sollten Sie sich aber stets bewusst machen, dass hier auch gefälschte Ware angeboten werden kann. Besonders bei sehr billigen Exemplaren, die extrem schöne Insekteneinschlüsse aufweisen und eine besonders preiswerte Gelegenheit zu sein scheinen, sollten Sie vorsichtig sein. Es ist wie im richtigen Leben: Wenn etwas zu schön ist um wahr zu sein, dann ist es meist auch nicht wahr. In manchen Fällen handelt es sich schlicht um honigfarbenes Kunstharz, in das ein Insekt eingegossen wurde, und das ist keinesfalls Millionen Jahre alt, sondern weit jünger als Sie selbst.
Was können Sie tun, um die Echtheit zu prüfen? Anhand des eingeschlossenen Insekts können Sie das Alter kaum prüfen, das wäre nur absoluten Spezialisten möglich. Aber das Einschlussmaterial verrät bei richtiger Vorgehensweise viel über seinen Ursprung:
– Echter Bernstein schwimmt in Salzwasser (0,5 l Wasser und vier Esslöffel bzw. 170 g Kochsalz). Steine oder Glas sinken zu Boden, Bernstein schwimmt oben.
– Viele Kunststoffe lösen sich in Aceton. Reiben Sie mit einem Wattestäbchen, das mit acetonhaltigem Nagellackentferner getränkt ist, auf der Oberfläche des Materials. Handelt es sich um Bernstein, färbt nichts ab, bei Kunstharz unter Umständen durchaus.
– Bernstein lädt sich statisch auf, wenn Sie ihn an Naturfasern wie Baumwolle oder Seide reiben. Winzige Papierstückchen werden dann angezogen, was bei Glas nicht funktioniert.
– Bernstein verströmt in erhitztem Zustand einen holzig-harzigen Geruch, der bei Kunstharz oder Glas fehlt.
– Bernstein ist brennbar und lässt sich entzünden. Da Sie ihn aber vermutlich nicht für den Test opfern möchten, können Sie mit einer sehr heißen Nadel an einer unauffälligen Stelle hineinstechen. Bernstein reagiert darauf mit einer Rauchbildung, die Sie vor einer schwarzen Fläche besonders gut wahrnehmen können.
– Bernstein entwickelt bei Ultraviolettbestrahlung Fluoreszenz. Beleuchten Sie den Stein mit einer speziellen Lampe, die UV-Strahlung freisetzt, dann weicht das Honiggelb einem bläulich- oder grünlichweißen Farbton und der Stein sieht milchig aus.
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